Tod im Apotherkerhaus
Die Kruse wandte sich Isi zu. »Und-du-kommst-mit-du-hast-hier-nichts-verloren!« Gebieterisch streckte sie die Hand aus und packte die Kleine am Kragen. Isi zappelte wie ein Wurm am Haken, hatte aber gegen die angeblich so von Schmerzen geplagte Witwe keine Möglichkeit, sich loszureißen. Augenblicke später waren beide fort. •
Rapp wunderte sich. Gegensätzlicher als die Frau und das Kind konnten zwei Menschen nicht sein. Waren sie dennoch verwandt? Bestand wenigstens eine äußerliche Ähnlichkeit zwischen ihnen? Er wusste es nicht. Für so etwas hatte er keinen Blick. Da er mit seinen Gedanken nicht weiterkam, setzte er den Deckel wieder auf die Kanne mit dem Theriak und stellte sie weg. Dann schaffte er auf dem Rezepturtisch Ordnung und steckte das Geld der Witwe ein. Gerade überlegte er, ob er für heute abschließen sollte, um wieder nach oben zu Mine zu können, da ging die Tür auf.
»Ich hätt dich fast verraten, nicht, Teo?«, sagte Isi. »Donnerwetter, da bist du ja schon wieder!«, entfuhr es Rapp. »Bin ausgebüxt. Mutter ist es sowieso egal, ob ich mitkomm oder nicht. Die denkt doch an nix anderes als an ihre Blase.« »So ist sie also wirklich deine Mutter?« »Ja, ist sie.«
Rapp entging nicht, dass Isi bei diesem Thema einsilbig wurde. Deshalb sagte er nur: »Ihr seid sehr verschieden.« »Sie ist auch bloß meine Stiefmutter.«
»Aha.« Rapp spürte, es wäre falsch, jetzt weiter zu fragen. Wenn Isi reden wollte, würde sie es tun, ansonsten nicht. »Vater war Walfänger, der beste Walfänger den es gab. Aber er ist tot... ist draußen auf See geblieben.« Isi sprach nun mit stockender Stimme. »Aus Amrum war er, wo ich auch geboren bin. Dann starb Mutter, meine richtige Mutter, mein ich, und er hat die Kruse geheiratet. Die Kruse wollt ihn erst nicht, aber als sie gemerkt hat, dass Vater reich war, hat sie ihn doch genommen.« Isi verstummte. »Und mich«, fügte sie leise hinzu. Rapp schwieg. Die sonst so freche Göre tat ihm auf einmal schrecklich Leid. Dann kam ihm ein Gedanke: »Dein Vater war nicht zufällig Harpunier bei den Grönlandfahrern?« »Doch, wieso?«
»Ach, nichts.« Es stimmte also. Der tote Harpunier Kruse, den der Steuermann der Noordenwind erwähnt hatte, war niemand anderes als Isis Vater. Und das bedeutete: Seine kleine Freundin war in jungen Jahren schon arg vom Schicksal gebeutelt worden. Sie hatte keine leiblichen Eltern mehr, nur noch eine Stiefmutter, eine fremde Frau, die sich um nichts anderes als ihre eingebildeten Zipperlein kümmerte, die Geld für nicht benötigte Arzneien zum Fenster hinauswarf und die, um alles das-bezah-len zu können, die Hinterlassenschaft eines tüchtigen Seemanns verbrauchte. Nun erklärte sich auch, warum Mutter und Kind so gegensätzlich waren und warum Isi sich am liebsten in Opas Hof aufhielt.
»Was ist denn nun mit dem Mikroskop, Teo?« »Mikroskop? Ach so, ich wollte dir ja eines zeigen. Warte, ich sperre rasch ab, dann kann niemand mehr herein, und wir sind oben ungestört.«
Im zweiten Stock empfing Mine sie mit einem Ausruf des Erstaunens: »Hat man jemals ein solches Huhn gesehen, Mann in de Tünn!« Sie wies auf einen ausgestopften Vogel mit einem blauschimmernden, wulstartigen Höcker auf dem Kopf. »Ein Hammerhuhn«, erklärte Rapp. »Dass es dir seltsam vorkommt, glaube ich. Es stammt von den malaiischen Sunda-Inseln. Ein holländischer Matrose der Vereinigten Ostindischen Kompanie brachte es mit. Ich erwarb es in meiner Leidener Zeit.«
Isi befühlte den Höcker. »Der ist aber hart.« »Er ist hart, und gleichzeitig schützt er«, antwortete Rapp. »Ihr müsst wissen, dass diese Hühner auf Vulkanen leben, und dort...«
»Was sind Vulkane?«, unterbrach Isi.
»Vulkane sind Berge mit einem runden Loch an der Spitze. Aus diesem Loch bricht von Zeit zu Zeit Lava hervor, und diese ...« »Was ist Lava?«
Rapp seufzte. »Lava ist flüssiges Gestein, das aus dem Erdinneren emporschießt. Es ist hundertmal heißer als Feuer, entsprechend lange dauert es, bis es sich abgekühlt. In dieser Umgebung leben die Hammerhühner, und der Höcker dient dazu, das Gehirn vor der Hitze zu schützen.« »Haben Hühner denn ein Gehirn?«
»Sicher. Es ist nur kleiner als das eines Menschen. Diese Vögel legen ihre Eier in die Asche des Vulkans, damit die Wärme sie ausbrütet.«
»Dann sind Hammerhühner schlauer als unsere, weil sie sich weniger Arbeit machen. Kann man die Eier essen?« »Ich
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