Tod im Apotherkerhaus
Weile griff er in den weinroten Rock und zog Rapps Taschenzeitmesser hervor, ein Viertel auf zwei Uhr schon, stellte er fest, auch die große Standuhr neben dem Rezepturtisch zeigte nichts anderes. Er überlegte, ob er gehen könnte, schließlich war Hauser ja da, aber in diesem Augenblick bimmelte die Türglocke. Meister Ladiges mit seinen Mannen trat über die Schwelle. Er tippte zum Gruß gegen seine Kappe und sagte mit wichtiger Miene: »Ich muss Euch dringend sprechen, Herr Apotheker.«
Der Imitator erhob sich. Er hatte wie so oft auf dem Stuhl der Offizin gesessen und vor sich hingestarrt. Auch Hauser war von seinem Schemel aufgestanden; er blickte dem Büttel neugierig entgegen. Der Imitator seufzte. »Ich höre?« Ladiges zog sein Gesicht in Kummerfalten. »Ich muss Euch eine traurige Mitteilung machen.« »Ja?« Der Imitator ahnte, was kommen würde. Doch so leicht ließ der Büttel sich die Neuigkeit nicht entlocken. »Es tut mir wirklich Leid für Euch.« »Sagt nur, was es ist. Sprecht frei heraus.« Ladiges nahm die Kappe ab. »Ich muss Euch leider sagen, dass die Stücke Eures The... äh, Eurer Sammlung, in der letzten Nacht aus dem Speicher am Kehrwieder entwendet wurden. Ein paar Matrosen machten Meldung, weil die Tür sperrangelweit offen stand. Die Diebe haben das Schloss mit einer starken Zange durchschnitten und alles ausgeräumt.«
Göck nuschelte irgendetwas wie: »So isses, so isses.« Der Imitator tat überrascht. »Ach? Das ist ja nicht zu glauben! Wer tut nur so etwas? Habt Ihr schon eine Spur?« »Nein, leider nicht. Aber ich muss Euch fragen, ob Ihr jemanden kennt, der für die Tat in Frage kommt.« »Ich? Nein.«
»Das dachte ich mir.« Ladiges drehte an seiner Kappe. Es sah aus, als würde er ein Wäschestück auswringen. »Wir sind noch dabei, den Besitzer des Speichers herauszufinden, vielleicht ergibt sich dann mehr. Ist Euch denn gestern noch etwas aufgefallen? Irgendetwas Verdächtiges oder Ungewöhnliches?«
Der Imitator schüttelte den Kopf. »Und Euch, Hauser?« Der Gehilfe verneinte ebenfalls.
Abermals sagte Ladiges: »Das dachte ich mir. Nun, ich bin überzeugt, dass jemand, der den Löwenanteil eines, äh ..., stiehlt, sich auch den Rest holen will. Ich werde deshalb von nun an die Apotheke Tag und Nacht beobachten lassen.« Der Imitator wollte aufbegehren, wollte deutlich machen, dass dies nicht nötig sei, doch der Büttel sprach schon weiter: »Macht Euch keine Sorgen um Euer Geschäft, niemand wird die Observierung bemerken, niemand wird es erfahren.« Der Imitator nickte und unterdrückte einen Fluch. Seine Gedanken rasten, krampfhaft suchte er nach einem gescheiten Grund, warum die Bewachung der Apotheke nicht nötig sei, doch es fiel ihm keiner ein.
Der Büttel wandte sich zum Gehen. »Ihr sollt wissen, dass alles Menschenmögliche getan wird, damit Ihr Eure Sammlung wiederkriegt. Leider sind meine Männer und ich zur Zeit sehr eingespannt, der Fall Meinardus Schlich, wisst Ihr. Ihr habt nicht zufällig etwas gehört, dass uns weiterhelfen könnte?« Der Imitator zwang sich zur Freundlichkeit, obwohl er seit der Ankündigung, das Haus würde künftig überwacht werden, seine Felle davonschwimmen sah. Wie sollte er jetzt noch den Rest des Thesaurus stehlen lassen! Mühsam brachte er hervor: »Ich habe nichts gehört.«
»Da kann man nichts machen.« Ladiges war schon halb aus der Tür, da drehte er sich noch einmal um. Er tat es so plötzlich, dass Rammer gegen ihn lief. Der Schläfrige murmelte eine Entschuldigung, doch der Meister ging nicht darauf ein. »Es gibt da noch etwas, Herr Apotheker, das ich Euch sagen will. Ein gut gemeinter Rat ist es: Haltet Euer Apothekenhaus immer so lange offen, wie die Vorschrift es will. Auf dem Weg hierher traf ich eine gewisse Witwe Kruse, grässliche Frau übrigens, kaum zu verstehen, aber sie beklagte sich bitterlich über Eure Öffnungszeiten.«
»Aber ich war doch die ganze letzte Woche ...« »Lasst nur. Wenn etwas Wahres dran ist, richtet Euch danach. Einen guten Tag noch, Herr Apotheker. Wenn sich etwas Neues ergibt, lasst es mich umgehend wissen.«
Ladiges verschwand, und der Imitator musste sich erst einmal setzen. Der Zeiger der Standuhr wanderte auf die Zwei; der Besuch des Büttels hatte also nicht einmal eine Viertelstunde gedauert und dennoch nur Unerfreuliches mit sich gebracht. Der Imitator fühlte sich wie zerschlagen. Vor allem aber ratlos. Wie sollte er jetzt noch ein einziges Stück des Thesaurus an sich
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