Tod im Apotherkerhaus
weiß. Doch ich habe es aus sicherer Quelle. Der Büttel Ladiges wurde schon unterrichtet. Er ist wild entschlossen, das Diebespack auf frischer Tat zu ertappen.«
»Dann, dann ...« Rapp fehlten für einen Augenblick die Worte. Zu viele Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. »... werden wir endlich wissen, wer der Imitator ist, und der ganze Spuk hat ein Ende«, ergänzte der Physikus für ihn. »Das Wichtigste, mein Freund, aber ist, dass Ihr kein ... nanu?« Er unterbrach sich, denn über ihm auf der Treppe waren knarrende Schritte zu vernehmen.
»Das ist der Imitator!« Rapps Stimme war voller Schrecken. »Schnell, er braucht Euch nicht unbedingt zu sehen!« Aber es war schon zu spät. Der Scharlatan trat in die Offizin, sah die zahlreichen Kunden, vermisste seinen Gehilfen und entdeckte ihn und de Castro schließlich im Gang. »Guten Tag, Herr Apotheker«, sagte der Physikus geistesgegenwärtig, »ich bin Doktor de Castro, wir beide hatten neulich schon einmal das Vergnügen. Hier in Eurem Apothekenhaus war es. Erinnert Ihr Euch?« Der Imitator blickte befremdet. »Ja, ja ... und?« »Nun, damals hatten wir eine kleine Plauderei, heute hingegen brauchte ich einen handfesten Rat.« »Ach?«
»Ich ... ich habe einen neuen Patienten und wollte wissen, welche Kräuter neben dem Schöllkraut bei zu viel Galle angezeigt sein könnten, und Euer Gehilfe war so freundlich, mir Thees von Galgantwurzeln und Artischockenblättern zu empfehlen. Ich nehme an, Ihr würdet mir zu denselben Drogen raten, oder?«
»Ja, hm ... natürlich.« Noch immer schien der Scharlatan zu überlegen, ob hier alles mit rechten Dingen zuging. »So viel ich weiß, finden sich beide Kräuter aber nicht hier im Gang!« Rapp merkte, wie ihm Schweißperlen auf die Stirn traten. Was hatte ihn nur geritten, den Physikus beiseite zu nehmen! Er hätte die anderen Kunden erst bedienen und anschließend am Rezepturtisch ein Beratungsgespräch vortäuschen sollen. Und nun stand er hier und musste sich herausreden! »Da habt Ihr ganz Recht, Herr Apotheker«, sagte er und versuchte, seinen Worten einen festen Klang zu geben, »aber Rettichwurzeln liegen in der Speisekammer, und diese sind, wie Ihr wisst, ebenfalls zur Therapie vonnöten.«
»Hm ja, natürlich, Hauser.« Der Imitator schaute beruhigt. »Ja dann ... geh nur und hole die Wurzeln.«
Während Rapp nach hinten in die Küche eilte, verwickelte der Physikus den Scharlatan in ein Gespräch über das Wetter und dessen Auswirkungen auf die Gesundheit, und als Rapp wenig später zurück war, die Rettiche in der Hand, sagte er: »Dann habe ich ja alles beisammen, Gott sei Dank, was bin ich Euch schuldig?«
Rasch antwortete Rapp für den Imitator, und de Castro zahlte. Dann, schon halb in der Tür, drehte er sich noch einmal um: »Je besser die Arznei, desto sicherer die Genesung, nicht wahr, Herr Apotheker? Nun wird sich für meinen Patienten alles zum Guten wenden. Keine Sorge!« Die letzten Worte, so schien es Rapp, hatten nur ihm gegolten.
Nachdem der Scharlatan wie immer um drei Uhr die Offizin verlassen hatte, konnte Rapp es kaum erwarten, bis auch der letzte Kunde gegangen war und er das Apothekenhaus abschließen durfte. Er tat es von innen, denn er wollte noch bleiben.
Er musste wissen, was der Imitator so lange im zweiten Stock getrieben hatte.
Er sollte es früh genug erfahren.
Auf den ersten Blick deutete nichts auf die stundenlange Tätigkeit des Scharlatans hin, bis Rapp das erste Schränkchen öffnete - und statt der erwarteten Heuschrecken nichts darin vorfand. Nichts? Das konnte nicht sein. Noch vor wenigen Tagen war es doch bestückt gewesen, und die Räuberbande hatte sich seitdem nicht wieder sehen lassen! Er blickte in jede Ecke, spähte in jede Fuge. Nein, nichts. Das Schränkchen war völlig leer.
Kopfschüttelnd zog er die Türen des nächsten Schreins auf -und sprang erschrocken zurück. Die Regale waren bis oben hin vollgestopft, so dass ihr Inhalt sich wie ein Schwall auf seine Schuhe ergoss. Ein Sammelsurium aus Libellen, Fliegen, Merresspinnen, Fossilien, Seesternen, Schwämmen und Gottesanbeterinnen breitete sich auf dem Boden aus, ein Anblick, der für das ordnungsliebende Auge eines Kollekteurs schier unerträglich war.
Der nächste Schaukasten sah ähnlich jammervoll aus. Pflanzen, Vögel und Fische steckten darin in drangvoller Enge, Flora wie Fauna in zähem Gewirr und von roher Hand hineingepresst, ohne jeden Sinn und Verstand! Rapp kämpfte mit den Tränen.
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