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Tod im Apotherkerhaus

Tod im Apotherkerhaus

Titel: Tod im Apotherkerhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ein Interesse daran, ihn glauben zu machen, ihr Vater sei tot? ... neunundfünfzig ... sechzig ... einundsechzig ... Rapp sehnte sich nach Luft. Frischer, reiner Luft, Atem schöpfen, Sauerstoff ... nein, er durfte noch nicht auftauchen, er musste sich ablenken, dann würde es noch eine Weile gehen. Witteke. War er es wirklich gewesen? Ja, ein Zweifel schien ausgeschlossen. Oder hatte er nur einen Doppelgänger gesehen, wie der Imitator einer war? Lächerlich. Der Imitator. Es gab nur einen Menschen auf dieser Welt, der ihm das Rüstzeug für seine Rolle hatte beibringen können, und der hieß Franz Witteke. Witteke, sein ehemaliger Gehilfe, der sich von einem Tag auf den anderen aus dem Staub gemacht hatte. Ein Mensch, der quicklebendig war, ganz im Gegensatz zu der Behauptung seiner Tochter.
    ... zweiundneunzig ... dreiundneunzig ... Nein, es ging nicht mehr, es war unmöglich! Rapps Kopf schien fast zu bersten. Er musste hochkommen! ... siebenundneunzig ...
    Doch über ihm erschollen immer noch dumpfe Laute. Schritte, hin und her. Egal! Rapp schoss nach oben, gab einen gurgelnden Laut von sich und sog mit aller Macht die herrliche Luft in seine Lungen. Luft, Luft, Luft ... Er presste die Hände gegen die Brust und genoss es, einfach nur zu atmen. Über ihm war es still geworden. Nur etwas entfernt hörte er ein paar unverständliche Laute.
    So waren die Schandbuben doch abgezogen? Als sein Puls sich halbwegs normalisiert hatte, fasste er sich ein Herz, stieg unter der Brücke hervor und blickte vorsichtig zum Cremon hinüber, wo mehrere torkelnde Gestalten einen Laternenmast umklammerten: Matrosen. Harmlose Matrosen! Fast hätte Rapp aufgelacht, so erleichtert war er. Die Schandbuben waren also schon viel früher verschwunden; er hatte ganz umsonst so lange gezählt.
    Ganz umsonst? Immerhin war ihm die Erkenntnis gekommen, dass der Imitator von Franz Witteke geschult worden war. Tagelang, womöglich wochenlang. Was mochte der Scharlatan dem Geizkragen dafür gegeben haben? Nun, das war jetzt nicht wichtig. Auch musste er sich keine Vorwürfe machen, dass er die Zusammenhänge erst heute erkannt hatte. Schließlich war er von Wittekes Tod überzeugt gewesen. Mine würde ihm viele Fragen zu beantworten haben.

 
    Kapitel achtzehn,
    in welchem Rapp sich zornig, zynisch, tapfer, traurig, kleinlaut und ratlos zeigt. Und das alles in hohem Maße.
     
    M ann in de Tünn! Wie siehst du denn aus?« Mine   schlug sich vor Schreck die Hand vor den Mund.   »Wie aus dem Wasser gezogen! Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«
    »Ja, das weiß ich, es ist zwei Uhr durch.« Rapp stand wie eine tropfende Vogelscheuche vor Mines Bett. »Und man hat mich nicht aus dem Wasser gezogen, sondern ich bin freiwillig hineingegangen, genauer gesagt, ins Nikolaifleet, noch genauer: Ich musste mich in der Drecksbrühe verbergen, weil ich auf der Flucht vor zwei schwarzhaarigen Häschern aus dem Hammerhai war.«
    »Waaas?« Mine richtete sich im Bett auf. »Was wölkst du denn da? Ich mach mir Sorgen, ich warte und warte, und du bist in dieser ... dieser Schnapshöhle! Fixfööt wusste auch nicht, wo du bist. Keiner wusste es. Oh, Liebster, wie konntest du nur! Ist dir auch nix passiert?« »Nein.«
    Mine schlug die Decke zurück und stand auf. »Gott sei Dank! Na, zieh erst mal die nassen Sachen aus, holst dir ja sonst den Tod.«
    »Nein«, sagte Rapp erneut und wich einen Schritt zur Seite. Mine sah mit ihrem langen weißen Nachtgewand und den offenen Haaren zwar unwiderstehlich aus, aber er zwang sich trotzdem, ihr zu widersprechen. Erst mussten einige Dinge geklärt werden. Mine stutzte. »Nein? Wieso?« Sie griff nach den Knöpfen seiner Jacke, aber Rapp schob ihre Hand beiseite.
    »Ich war nicht im Hammerhai. Ich habe lange im Apothekenhaus gearbeitet, zu lange, wie ich zugebe, und als ich nach Hause gehen wollte, fiel mir eine zwielichtige Gestalt auf, die sich in der Nähe herumdrückte. Der Kerl benahm sich verdächtig, überdies kam er mir seltsam bekannt vor. Ich verfolgte ihn. Er ging in Richtung Hammerhai. Als ich dort ankam, war er verschwunden, aber plötzlich sprang die Tür auf, und er stand auf der Schwelle. Er hatte bemerkt, dass ich ihn verfolgte und hetzte die zwei Häscher auf mich. Und nun rate einmal, wer dieser freundliche Mensch war.« »Ich weiß nicht.« »Es war dein Vater.«
    Mine zuckte zusammen, als hätte Rapp sie geschlagen. »Hörst du? Es war dein Vater!« »Ja, ich hab's gehört«, flüsterte sie.

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