Tod im Apotherkerhaus
Rapp zuckte mit den Schultern und drehte sich wieder dem Fettwanst zu. »Und du, Wirt? Wie steht's mit dir?« Der Dicke hatte sich unterdessen eine Pfeife angesteckt, nuckelte daran und nahm einen tiefen Zug. Dann blies er Rapp den Rauch mitten ins Gesicht. »Wer büst du, Vörnehmsnacker?« Rapps Augen tränten. Er wollte dem Dickbauch entgegenschleudern, dass der Genuss von Toback am Sonntagmorgen vor, während und nach den Gottesdiensten in jeder Schänke verboten war, aber er kam nicht mehr dazu. Hinter ihm wurde es laut. Füße scharrten, und Schemel kippten um. Die Zecher erhoben sich. Er spürte förmlich, wie sie ihm auf den Leib rückten.
»Wat spijooneerst du hier rüm? Rut mit de Sprook!« Die Situation wurde brenzlig. »Aber ich sagte doch, ich sorge mich um meinen Bruder. Wir, äh, wir wohnen unten am Hafen, am Kehrwieder.«
»Schiet drop!« Mit einer Geschwindigkeit, die niemand ihm zugetraut hätte, stieß der Dicke seinen Zeigefinger Rapp gegen die Brust, und mit jedem Wort, das er weitersprach, wiederholte er den Vorgang. »Verteil ... mi ... nix ... du ... Snüffelnees! ... Steckst... ünner ... en ... Deek ... mit... de ... Uhlen!« Was danach passierte, lief so schnell ab, dass Rapp später Mühe hatte, sich an Einzelheiten zu erinnern. Wütend über die Grobheit des Wirts schlug er dessen Hand beiseite. Der Fettwanst schrie theatralisch auf und packte ihn am Kragen. Der Kragen riss, Rapp wurde noch wütender. Sein gutes Hemd! Er trat dem Fettwanst vors Schienbein und spürte selbst erheblichen Schmerz, da er barfuß war. Der Wirt ging heulend zu Boden. Irgendeine Hand packte Rapps Schulter und versuchte, ihn festzuhalten. Ein Hieb folgte und landete zwischen seinen Schulterblättern. Das feige Gelichter! Es griff von hinten an! Rapp stieß seinen Ellbogen zurück und hörte, wie jemand aufstöhnte. Voller Genugtuung teilte er nochmals aus. Und nochmals. Nun hatte er etwas Luft. Er wirbelte herum. Er wollte den Feiglingen in die Augen sehen. Das Pack stand da wie ein lauerndes Tier. Abwartend. Gefährlich. Gierig. Die Überzahl war groß, zu groß. Es hatte keinen Zweck. Nur raus hier! Rapp täuschte einen Angriff vor. Die Meute wich zurück. Irgendwer stolperte, griff in die Luft und klammerte sich an das Fischskelett, das bedenklich schaukelte. Ein Höllenlärm brach los, als die Knochen herabregneten. Rapp spürte einen Schlag gegen die Schläfe und wusste nicht, was ihn getroffen hatte, Fisch oder Faust. Es war einerlei. Die Sinne schwanden ihm fast, er fühlte sich schwerelos wie auf Wolken. Unter ihm zogen Tische mit Bier und Schnaps und Knochen vorbei; sie wankten und verschwanden aus seinem Blickfeld. Und dann flog er tatsächlich. Hinaus auf die Gasse.
Rapp hatte sich wieder hinter der Kohlenkiste verkrochen. Gekrümmt wie ein Wurm saß er da, die Stirn auf den Knien, und tat etwas, das er seit frühester Jugend nicht mehr getan hatte: Er weinte. Die Verzweiflung war wie eine Woge über ihm zusammengeschlagen und hatte alle Dämme gebrochen. Was war nur geschehen mit ihm? Gestern um diese Zeit hatte er noch in der Offizin, seiner Apotheke, gestanden und Rezepturen gemixt, und heute, keine vierundzwanzig Stunden später, war er ... ein Nichts.
Alles am Körper tat ihm weh, am meisten jedoch die Zehen seines rechten Fußes. Der Schmerz rührte von dem Schienbeintritt her, den er dem Fettwanst von Wirt verpasst hatte. Rapp bewegte vorsichtig die einzelnen Zehen und fragte sich, ob etwas gebrochen war. Schon die paar Schritte zur Kiste waren eine Qual gewesen.
Was war das? Gesang drang an sein Ohr. Dahinten im Hammerhai feierten sie wohl ihren Sieg. Rapp spürte Bitterkeit. Immerhin lenkte ihn das Gegröle so ab, dass er mit der Heulerei aufhörte. Was hatte der Wirt zu ihm gesagt? »... Steckst ünner en Deek mit de Uhlen«? So oder ähnlich hatte es geklungen. Ob damit gemeint war, dass er mit der Nachtwache, den Eulen, unter einer Decke steckte? Rapp wurde plötzlich ganz aufgeregt. Wenn der Fettwanst annahm, er würde für die Nachtwache als Spitzel arbeiten, dann glaubte er wohl, dass diese Wind von der Sache bekommen hatte und mehr erfahren wollte. Was wiederum bedeutete, dass die Leichen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht offiziell beiseite geschafft worden waren, sondern von unbekannter Hand. Vielleicht von jenem dritten Schandbuben, der ihn niedergestreckt hatte? Dieser Kerl musste ein großes Interesse daran haben, dass alles, was mit dem Überfall zu tun hatte, nicht an die
Weitere Kostenlose Bücher