Tod im Apotherkerhaus
jetzt, dass ich Apotheker bin?«
Mine schien ihn nicht gehört zu haben. Sie runzelte die Stirn und deutete mit der Schere auf die Narbe. »Stimmt. Vater hat davon erzählt, ich erinner mich.« Sie setzte sich wieder. Auch Rapp nahm wieder Platz. Er war grenzenlos erleichtert, denn sie schien nicht mehr an seiner Behauptung zu zweifeln. Ein Anfang war gemacht. »Dein Vater ist ein sehr tüchtiger Mann. Als er das Apothekenhaus vor einem halben Jahr verließ, war es zuerst nicht leicht für mich, ohne ihn auszukommen. Plötzlich musste ich alles wieder selber machen. Ein anderer Gehilfe war nicht aufzutreiben. Es war, nun ja ...« Rapp brach ab, denn dies war nicht der rechte Ort, sich über Franz Witteke zu beklagen. »Mein Vater ist tot.« »Dein Vater ist ... oh, das tut mir Leid.«
»Ist nicht nötig. He weer'n Knickerbüdel! För mi is he doot. Hab ihn aus meinem Gedächtnis gestrichen.« Mine schien nicht länger über das Thema reden zu wollen. »Warum kannst du ... ich meine, warum könnt Ihr nicht im Apothekenhaus wohnen? So viel ich weiß, steht's noch.«
Rapp spürte, jetzt musste er mit der Sprache herausrücken. »Tja, nun, es ist eine lange Geschichte. Ach, übrigens, du kannst ruhig weiter du zu mir sagen. So wie ich aussehe ...«
Doch Mine ließ sich nicht ablenken und blickte ihn unverwandt an.
»Wie gesagt, es ist eine lange Geschichte. Ich könnte sie dir morgen erzählen, wenn ich vorher vielleicht für eine Nacht hier irgendwo ...«
»Nee, entweder oder! Du verteilst mi dat nu, oder du mookst di dünn.«
Rapp ahnte, dass es zumindest eine Gemeinsamkeit gab, die Isi und Mine zu Freundinnen machte: ihre Hartnäckigkeit. »Also gut. Aber du wirst Dinge hören, die ich selbst kaum glauben kann. Alles begann vorgestern, als ich zu einem Kammermusikabend in das Palais Lüttkopp eingeladen war ...« Es dauerte geraume Weile, bis Rapp mit seinem Bericht fertig war, denn nachdem er einmal angefangen hatte, schilderte er die Geschehnisse auf das Genaueste und ließ nicht die kleinste Kleinigkeit aus. Nur dass er die beiden Halunken bei dem Überfall getötet hatte, brachte er nicht über die Lippen.
Genau da aber hakte Mine ein, nachdem sie die ganze Zeit ruhig zugehört hatte. »Ich versteh das ja alles«, sagte sie, »aber dass du nicht gleich zu den Uhlen hin bist, versteh ich nicht. Dann hätt's diesen, diesen ... Doppelmensch in der Apotheke vielleicht gar nicht gegeben?«
Rapp musste einräumen, dass sie Recht hatte. Was hatte Isi gesagt? Mine sei mächtig schlau? Das schien wahrhaftig zu stimmen. »Ah-hm ... ja. Das ist richtig. Aber es ging nicht.« Er begann wieder an seinem Hemd zu nesteln. »Du hast nicht alles erzählt.« »Ja, nun ...« »Gib mir dein Hemd.« »Äh, wie?«
»Zieh's aus, ich näh es dir. So kannst du nicht rumlaufen.« Rapp genierte sich etwas, weil er darunter nur ein dünnes Leibchen trug, gehorchte aber.
Mine hatte schon Nadel und Zwirn in der Hand. Sie fädelte ein längeres Stück ein und machte einen Knoten ins Ende. »Erzähl weiter.«
»Es ist aber ziemlich schlimm, um nicht zu sagen entsetzlich. Es ist etwas, das mir die ganze Zeit nicht aus dem Kopf will. Wenn ich es sage, musst du mir versprechen, mit niemandem darüber zu reden. Versprichst du es?«
Die blauen Augen blickten Rapp abschätzend an. »Nur wenn du nichts Böses verbrochen hast.« »Ich fürchte, genau das habe ich.« »Erzähl.«
Es fiel Rapp schwer, darüber zu reden, wie der Überfall auf ihn abgelaufen war, wie man seine Gutgläubigkeit und Hilfsbereitschaft ausgenutzt hatte, wie er systematisch in das Labyrinth der dunklen Gassen gelockt worden war, wie er gegen die beiden Halunken gekämpft, sie angeschrien und mit seinem Stock bearbeitet hatte, denn solches Verhalten war eines umsichtigen und achtbaren Bürgers nicht würdig. Aber er war wütend gewesen, außerordentlich wütend sogar ob des hinterlistigen Angriffs, und entsprechend hart hatte er zugeschlagen. Wenn er es doch nur nicht getan hätte! Wenn er doch den ganzen Abend einfach ungeschehen machen könnte! Rapp seufzte aus tiefstem Herzen und schloss mit den Worten: »Weil ich zwei Menschen getötet habe, konnte ich nicht zur Nachtwache gehen. Und nach meiner Begegnung mit dem Doppelgänger konnte ich es erst recht nicht. Wem hätte man denn im Zweifelsfall geglaubt? Mir in meinen abgerissenen Sachen oder dem Imitator, der sich, gewandet in meinen weinroten Gehrock, in meiner Apotheke breit machte?«
»Und wenn die Kerle nun
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