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Tod im Apotherkerhaus

Tod im Apotherkerhaus

Titel: Tod im Apotherkerhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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gar nicht tot sind? Vielleicht haben sie nur so getan?« Mine führte die Nadel mit schnellen, exakten Bewegungen. Stich für Stich wurde der Riss im Hemdkragen kleiner. Rapp winkte ab. »Das ist ausgeschlossen. Sie waren völlig leblos, dazu kommt das viele Blut. Die beiden lagen in einem See von Blut.«
    »Du hast dich nur gewehrt. Konntest ja nix dafür. Ich versprech, ich werd mit niemandem drüber reden.« »Ich danke dir.« Rapp atmete auf. Wenn Hermine Witteke schwieg, konnte sich vielleicht doch noch alles noch zum Guten wenden.
    »Außer mit Fixfööt, der wohnt in der Bude neben Opa. Er kommt immer zum Abendbrot. Ist ein guter Freund von mir. Aber keine Bange, Fixfööt hält dicht, pottdicht.« »Ist recht«, sagte Rapp, dem das alles andere als recht war. Doch was blieb ihm schon übrig, als damit einverstanden zu sein. Er hatte sein Geheimnis ausgeplaudert und war nun auf die Diskretion wildfremder Menschen angewiesen. Andererseits brauchte er dringend eine Bleibe. Und überdies hatte es gut getan, sich einmal alles von der Seele reden zu können. Was für ein Bursche wohl der Freund mit dem seltsamen Namen war?
    Mine setzte den letzten Stich und biss den Faden ab. Der zerfetzte Kragen hatte sich geschlossen und sah nun wie neu aus. Sie hob das Hemd gegen das Licht und entdeckte noch einen größeren Riss an der Seite. Schweigend nahm sie ihre Arbeit wieder auf.
    »Du bist sehr geschickt«, sagte Rapp, und das Lob war ehrlich gemeint. »Hast du die Blusen und die Kleider dort auf den Bügeln alle selbst geschneidert?«
    »Gar nichts hab ich. Ich flick nur. Will möglichst kein Böhnhase sein.«
    Als Rapp sie fragend ansah, fuhr sie fort: »Böhn, das sind Dachböden. So wie meiner. Da wohnten früher oft Schneider ohne Bürgerrecht. Die durften nix tun, und wenn sie's doch taten, wurden sie gejagt. Von den Amtsmeistern. Wen sie erwischt haben, der musste saftig Strafe zahlen. Aber die meisten waren immer über die Dächer weg, sind gelaufen wie die Hasen. Deshalb
    Böhnhasen. Nee, nee, mit den Amtsmeistern ist nicht gut Kirschen essen. Auch heute noch.« Mine verfiel wieder ins Plattdeutsche: »Ik snieder nix, dorüm krieg ik ok keen Schereree mit de Ämters. Ick segg ümmer: beter en Flick as en Lock. Verstohst dat?«
    »Ja, so halb. Ich bin noch nicht so lange in Hamburg, darum kannte ich den Ausdruck Böhnhase nicht.« »Wann bist du denn gekommen?« In Mines Hand schien die Nadel wie von selbst zu arbeiten.
    »Es war im Sommer anno vierzehn. Kurz nach der Pest.« »Ja, ja, die war bös. Von Schweden kam sie runter, alle Märkte mussten dauernd gefegt werden, alle Gassen, alle Höfe; alle Schweine mussten aus der Stadt, alle Altleiderhöker mussten Schluss machen. War eine schlimme Zeit. Hab drei Geschwister verloren und eine Tante, die hat vor der Stadt gewohnt. Grässlich war's, jedes Mal, wenn ich sie besuchen wollt, hieß es am Stadttor >Ausweiskontrolle<, und jedes Mal, wenn ich wieder reinwollt, auch. Nur mein Vater hat die Pestilenz überlebt. Er tauchte auf, als die Seuche weg war, im März anno vierzehn glaub ich. Woher er kam, weiß ich nicht. Und von woher kommst du?«
    »Ich?« Rapp dachte bei sich, dass Mine ihn ziemlich zappeln ließ. Erst hatte sie die ganze Wahrheit des Überfalls aus ihm herausgequetscht, und jetzt wollte sie auch noch über seine Herkunft, ja, womöglich über sein ganzes Leben Bescheid wissen. Und alles nur für die unbestimmte Hoffnung, in diesem Raum ein paar Nächte auf dem Holzboden schlafen zu dürfen. »Aus Mühlhausen in Thüringen. Ich wuchs dort in einer Apotheke auf, man hatte mich adoptiert. Mein Vater war der Apotheker Curtius Rapp, ein freundlicher, umgänglicher Mann, der mit meiner Adoptivmutter eine sehr glückliche Ehe führte. Nur der Kindersegen hatte sich bei ihnen nicht einstellen wollen. So waren sie auf die Idee gekommen, mich zu sich zu nehmen. Sie gaben mir den Namen Teodor, den ich später, nachdem ich meinen Gesellenbrief erhalten hatte, in Teodorus latinisierte.«
    »Muss man für Apotheker lange lernen?« »Fünf Jahre. In manchen Gegenden sogar sechs. Ich lernte bei meinem Vater, was die Sache sehr vereinfachte. Normalerweise wird zwischen der Familie des Lehrlings und dem Apotheker alles aufs Genaueste abgesprochen: die Unterbringung, die Beköstigung und die Erziehung. Die Familie zahlt dafür eine festgelegte Summe an den Lehrherrn. Ist sie dazu nicht in der Lage, verlängert sich die Ausbildungszeit, denn der Lehrling muss das Geld

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