Tod im Apotherkerhaus
Last zu schwer wurde.
Bei den nächsten Schubladen ging es schneller, und irgendwann waren die Halunken zum Abmarsch bereit, nicht ohne vorher noch einen in Segeltuch geschlagenen Alligator auf den Wagen gepackt zu haben. Rapp vermerkte, dass sie diesmal das Licht hinter sich gelöscht hatten, ein schwacher Trost allerdings angesichts der Beutemenge, um die man ihn erleichterte. Die Langfinger schlugen den Weg ein, den die beiden Freunde schon kannten. Es ging die Deichstraße hinunter, dann links über die Hohe Brücke, die das Nikolaifleet vom Binnenhafen trennte, und weiter am Liekedeler vorbei. Rapp dachte an ! Klaas, der sich darin vergnügte, und erwog kurz, ihn um Verstärkung zu bitten, unterließ es aber, denn der Hüne würde sicher wieder sternhagelvoll und deshalb gewiss keine Hilfe sein. In gebührendem Abstand verfolgten er und Fixfööt die Schandbuben weiter, entlang am Neuen Krahn und der Waagen bis hin zur Brooksbrücke, der östlichen Begrenzung des Binnenhafens.
Hier machten die Halunken plötzlich Halt. Was war da los? Die Brücke war hell erleuchtet. Arbeiter sprangen darauf herum, Rufe und Kommandos austauschend. Ein schwerer Balken, wie eine Schranke über den Fahrweg gelegt, ließ erahnen, warum hier zu nächtlicher Stunde gewerkelt wurde: Die Brooksbrücke war defekt. Irgendein Schiffsrumpf mochte sich bei dem Wind aus der Vertäuung gelöst und gegen einen der Ständer getrieben worden sein. Rapp sah, dass Bohlen und Langhölzer herbeigeschafft wurden. Die Arbeiter hatten es eilig, denn die Brücke war wichtig. Morgen früh würde sie vielleicht schon wieder befahrbar sein. Morgen früh, aber nicht jetzt. Was würden die Halunken tun? Umkehren? Nein, sie blieben stehen und schienen zu beratschlagen. Rapp sah, wie einer von ihnen die Arbeiter ansprach. Gesten und Handzeichen folgten, dann eine unmissverständliche Handbewegung: Die Halunken wurden aufgefordert, umzudrehen. Sie zögerten, dann packten sie die Karre, wendeten sie und schoben sie in eine Seitengasse. Rapp, der schon gehofft hatte, sie würden das Diebesgut in sein Apothekenhaus zurückschaffen, blickte enttäuscht drein. Wieder hatte sein Plan, das Versteck der Räuber zu erkunden, nicht geklappt. »Was sollen wir machen?«, flüsterte Fixfööt an seiner Seite. »Vielleicht geben sie auf und lassen den Wagen stehen«, entgegnete Rapp. »Und dann?«
»Ah-hm ...« So weit hatte Rapp noch gar nicht gedacht. Es machte wenig Sinn, den Wagen für die Halunken zurückzuschieben und womöglich die Exponate wieder im Kabinett einzuordnen. Im Gegenteil, die Räuber würden dadurch nur gewarnt werden, wenn sie das nächste Mal im Apothekenhaus auftauchten. Sie würden wissen, dass ihre erste Begegnung dort mit Rapp und Fixfööt kein Zufall gewesen war, und künftig noch mehr auf der Hut sein. Ebenso wenig Sinn machte es, den Karren an einen anderen Ort zu schieben, denn es fehlte ihnen ein Versteck für ihn. »Du hast Recht«, knurrte Rapp, »es sieht so aus, als würde die Bande sich nicht vom Fleck rühren. Die Halunken bewachen meine Exponate, damit sie nicht gestohlen werden. Welch ein Hohn! Nun, was die können, können wir schon lange, und wenn wir hier bis zum Jüngsten Gericht ausharren. Irgendwann ist die Brücke wieder fertig, und dann geht's weiter.«
Der Flinkbeinige schüttelte den Kopf. »Die Arbeiter sind bestimmt nicht vor Tag fertig, Teo, und im Hellen ist die Verfolgung viel schwieriger.«
»Dann müssen wir uns eben noch mehr vorsehen.« »Und was ist mit Mine? Die sitzt zu Haus und hat 'ne Heidenangst, wenn wir heut Nacht nicht zurückkommen.« Rapp biss sich auf die Lippe. Was der Jüngling zuletzt gesagt hatte, war nicht von der Hand zu weisen. Er kannte Mine mittlerweile so gut, dass er sich genau vorstellen konnte, wie sie am großen Tisch saß, immer wieder ihre Arbeit unterbrach, wenn die nahe Turmuhr schlug, weiter nähte, abermals dem Glockenschlag lauschte, die Flickerei wieder aufnahm und von Stunde zu Stunde unruhiger wurde. Nein, das durfte nicht sein. Nicht einmal, wenn es um seinen Thesaurus ging. Widerstrebend entschied er: »Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als zurückzugehen, auch wenn es mich unsagbar sauer ankommt. Wie verhext ist es! Wir können tun, was wir wollen, irgendetwas macht uns immer einen Strich durch die Rechnung. Auch diesmal werden wir nicht weiterkommen.« Doch da, zum Glück, sollte Rapp sich sehr getäuscht haben.
Kapitel sieben,
in welchem der richtige
Weitere Kostenlose Bücher