Tod im Apotherkerhaus
selbstverständlich, mein Freund. Ich vermute, Ihr habt eine Menge zu berichten, lasst mich deshalb rasch noch eine Flasche Wein holen.«
Als der Physikus wieder am Tisch saß, begann Rapp mit seiner Geschichte. Er berichtete von Anfang an, und mit dem Abstand so vieler Tage kamen ihm die Ereignisse immer unwirklicher und unglaubwürdiger vor. Aber er redete weiter, bemerkte, wie sich bei de Castro ein ums andere Mal die Haare sträubten, und schloss endlich mit einem Schulterzucken. »Ich kann nur so weitermachen wie bisher, Herr Doktor, und auf ein Wunder hoffen.«
Der Physikus rieb sich nachdenklich das Kinn. »Für Wunder ist der Allmächtige, dessen Name gesegnet sei, zuständig. Wir sollten ihn noch nicht bemühen. Erst will ich den Fall in allen Einzelheiten durchdringen. Warum, zum Beispiel, hat der Imitator - oder derjenige, der hinter ihm steht - Euch nicht einfach töten lassen?«
»Das habe ich mich auch lange gefragt. Der Dritte von den drei Halunken, die mich vor dem Hammerhai überfielen, hätte es ohne Weiteres tun können. Er hätte mich beiseite geschafft, der Doppelgänger wäre in meine Rolle geschlüpft, und der Thesaurus wäre innerhalb weniger Tage fortgebracht worden. Irgendwann hätte nur noch ein verwaistes Haus dagestanden, ohne Apotheker und ohne Sammlung.«
»Ganz recht. Es klingt einfach, und man fragt sich, warum es nicht so geschah. Mir fällt dazu nur ein Grund ein: Der Imitator hatte nicht die Zeit, tagelang hinter Eurem Rezepturtisch zu stehen und den Pharmazeuten zu spielen. Er hat sie ja auch jetzt nicht, was man daran sieht, dass er erst um elf Uhr anrückt und bereits um drei Uhr wieder geht.«
»Ja, es scheint ihn sauer anzukommen, dass er so viele Stunden in meiner Apotheke verbringen muss. Ich bin sicher, er strebte ursprünglich eine für ihn elegantere Lösung an. Er wollte mich an jenem Sonntagabend, als er vergebens auf mich wartete, erpressen. Er wollte mir auf den Kopf zusagen, dass ich zwei Menschen getötet hätte und deshalb in seiner Hand sei. Ich müsse mich einverstanden erklären, dass mein Thesaurus fortgeschafft würde, anderenfalls bekäme die Wache einen Wink. Er war sicher, sein Plan würde klappen, nur dass ich nicht kam, damit hatte er nicht gerechnet.«
»Ja, Ihr habt Euch seinem Zugriff entzogen. Seitdem tappen er und seine Helfershelfer, was Euren Verbleib betrifft, im Dunkeln. Wahrscheinlich ahnt er, dass die Störungen bei den nächtlichen Raubzügen etwas mit dem verschwundenen Apotheker Rapp zu tun haben. Deshalb möchte ich Euch warnen: Gebt Acht auf Euch! Wenn die Halunken Eurer jetzt habhaft würden, wäre Euer Leben keinen Pfifferling mehr wert. Aber zurück zu Eurer Erpressungsthese:
Hätte der Imitator nicht auch in seiner eigenen Kleidung auf Euch warten können? Hätte es nicht ausgereicht, wenn er Euch Euren Rock und die anderen Dinge zurückgegeben hätte? Ihr wäret dann wie zuvor Eurem normalen Dienst nachgegangen, allerdings mit einer Ausnahme: Ihr hättet den Thesaurus herausrücken müssen. Bei dieser Variante wäre ein Imitator nicht vonnöten gewesen, und man fragt sich, warum er Euch als ein solcher in der Offizin erwartete.«
»Nein, nein!« Rapp schüttelte heftig den Kopf, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. »In diesem Fall hätte man mich kaum erpressen können. Ich hätte die Geschehnisse jener Nacht einfach abgestritten; die Halunken jedoch wären in der Beweispflicht gewesen. Sie - oder die Stadtbehörden - hätten nachweisen müssen, dass ich zwei Menschen getötet habe, und das wäre ihnen schwer gefallen. Ich denke, bei diesem ganzen Schwindel war der Imitator als Figur von vornherein geplant.«
»Hm, hm. Da liegt Ihr wohl richtig.« De Castro stand auf und zündete einen fünfarmigen Tischleuchter an. Dann löschte er die beiden Kerzen auf der Vitrine und kam zurück. »War denn auch der Tod der beiden Halunken geplant?« »Entschuldigt, wie meint Ihr?« Rapp verstand nicht. »Ich meine, der Imitator wollte Euch doch, wie Ihr sagtet, erpressen.« »Ja, und?«
»Aber er konnte doch vorher gar nicht wissen, dass Ihr zwei Menschen töten würdet.« »Ja, nein ... richtig.«
»Ist Euch schon einmal in den Sinn gekommen, dass Ihr die zwei vielleicht gar nicht erschlagen habt?« Rapp fasste sich an den Kopf. Seine Gedanken summten darin wie ein Bienenschwarm. Nein, an diese Möglichkeit hatte er noch nie gedacht, und obwohl sie sehr verlockend klang, kam sie keinesfalls in Frage. »Die beiden Männer waren
Weitere Kostenlose Bücher