Tod im Beginenhaus
totmachen wollen.»
«Vitus, die Buben werden ihr nichts tun. Sie haben dich nur gehänselt. Fine kann doch nicht ewig bei dir im Bett schlafen.»
«Tu sie nicht raus!» Vitus fing an zu weinen und legte schützend seine Arme um die Katze, die schnurrend ihr Köpfchen an seiner Brust rieb. Adelina holte tief Luft, seufzte dann schwer und setzte sich neben ihren Bruder.
«Also gut, in Gottes Namen, dann bleibt sie eben hier.»
Vitus’ Tränen versiegten so schnell, wie sie gekommen waren. Er zog sich bis aufs Hemd aus und kuschelte sich unter seine Decke. Fine hielt er weiterhin schützend nah bei sich.
«Was für eine Geschichte möchtest du denn gern hören?»
«Eine von dem Drachen», kam es prompt. Sie überlegte einen Augenblick, dann begann sie mit der gewünschten Geschichte. Sie war noch nicht bei der Hälfte angelangt, da verkündeten die tiefen Atemzüge, dass Vitus eingeschlafen war. Fine hatte sich an seinem Bauch zusammengerollt und blinzelte träge. Einen Augenblick lang saß Adelina noch nachdenklich am Bett ihres Bruders. Dann griff sie sich das Licht und schlüpfte auf Zehenspitzen aus der Kammer.
2
Eine milchige Sonne durchdrang den Frühnebel, doch die Luft war schon herbstlich kalt und dämpfte den Gestank, der sonst aus den Rinnsteinen aufstieg.
Adelina war einmal mehr auf dem Weg zum Beginenhospital. Dabei überlegte sie, ob Reinhild sich für die neuesten Nachrichten aus dem Stadtrat interessieren würde. Der Ratsherr van der Schuren war am Vortag in die Apotheke gekommen und hatte die Hustenarznei für seine Frau geholt und Adelina von den wichtigsten Neuigkeiten über Beschlüsse des Rates berichtet.
Schwester Agathe empfing sie mit sorgenvollem Gesicht.
«Jungfer Adelina! Gut, dass Ihr kommt. Schwester Irmingard wollte schon nach Euch oder dem Medicus schicken lassen!»
«Ist etwas mit Benedikts Bein?» Adelina folgte der Frau zum Eingang.
«Nein. Aber der alte Balthasar, Ihr wisst schon, der hat seit heute Nacht eine schlimme Krankheit. Wir fürchten um sein Leben!»
«Balthasar? Ist das nicht der weißhaarige Alte, der sich manchmal nicht erinnern kann, wie er heißt?»
«Genau.» Die Pförtnerin blieb im Eingang stehen und wies aufgeregt in Richtung Krankensaal. «Schwester Irmingard und Schwester Heidrun kümmern sich um ihn.»
Adelina öffnete die Tür zum Saal und fuhr erschrocken zurück. Balthasar würgte und wand sich in Krämpfen. Gurgelnd schrie er seinen Schmerz heraus. Die beiden Pflegerinnen bemühten sich nach Kräften, ihn zu besänftigen und zu verhindern, dass er aus dem Bett fiel. Mit wenigen Schritten war Adelina am Bett und packte Balthasars Arme, um ihn ruhig zu stellen. Verzweifelt versuchte er sich aus ihrem Griff zu befreien, sodass die zwei Beginen noch eine weitere Pflegerin herbeiriefen.
«Balthasar!» Adelina versuchte seine Schreie mit ihrer Stimme zu übertönen. «Liegt doch still, damit ich Euch helfen kann!»
Sein flackernder Blick streifte Adelina, und für einen Moment hielt er inne. «Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?» Seine Worte klangen undeutlich. Speichel rann aus seinem Mundwinkel. Sie legte ihm eine Hand auf die Stirn.
«Ich bin’s, Adelina. Ich möchte Euch helfen. Aber dazu müsst Ihr mir sagen, wo es Euch wehtut.»
Der Mann wand sich erneut.
«Wo? Überall! Ich bin vom Teufel besessen! Ich kann meine Beine nicht mehr spüren! Es zerreißt mich!» Er keuchte und sank in sein Kissen zurück.
«Eure Beine?» Sie tastete seine Waden ab, doch er schien nichts zu spüren.
«Was kann das nur sein?»
Ratlos blickte Irmingard auf Balthasar nieder. «Vor einigen Stunden fing er, an über Krämpfe zu klagen, und seither ist es immer schlimmer geworden. Ich wollte schon nach Euch schicken lassen.»
«Hat er etwas Verdorbenes gegessen?»
«Nicht dass ich wüsste. Gestern Abend gab es Haferpfannkuchen, und die anderen sind nicht krank geworden.»
Plötzlich röchelte der alte Mann, bäumte sich auf und erbrach sich in einem Schwall auf den Boden. Adelina sprang zur Seite. Hustend und würgend versuchte er sich auf seinem Lager zu drehen. Aber es schien, als ob er seine Arme nicht mehr richtig bewegen könnte.
«Helft mir!» Balthasar rang nach Atem, seine Augen irrten flehend von einer zur anderen. Schwester Heidrun, eine junge Begine mit zahlreichen verblassten Pockennarben auf Gesicht und Hals, stolperte erschrocken los, um Tücher und Wasser zu holen. Irmingard beugte sich trotz des erbärmlichen Gestanks über den Kranken und
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