Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
in ihren Armen.
»Guten Abend, Frau Neudecker. Womit schleppen Sie sich denn da ab?«
»Oh, hallo.« Die Kuratorin stoppte. »Das ist der Katalog zur Ausstellung. Druckfrisch. Er ist gerade noch rechtzeitig geliefert worden. Ich bringe dem Präsidenten schnell einige Exemplare. Darf ich Ihnen auch eines schenken?«
Beaufort nahm das schwere Buch dankend entgegen und blätterte höflich darin. »Schaffen Sie es denn noch rechtzeitig? Ist alles ›ausgepackt‹?«
»Gott sei Dank, ja. Bis auf ein paar Kleinigkeiten ist die Ausstellung jetzt fertig aufgebaut. Die Handwerker haben gerade erst Feierabend gemacht. Zwischendrin hatte ich das Gefühl, dass ich es nie schaffen würde. Ich wollte den Präsidenten schon bitten, alles zu verschieben. Aber dann habe ich gedacht, dass ich es für Tom tun muss, zu seinem Gedächtnis. Er hätte es so gewollt. Sie beide kommen doch morgen Abend auch zur Vernissage?«
»Aber natürlich«, bestätigte Anne. »Obwohl ich schon morgen Vormittag beim Presserundgang mit dabei sein werde. Im Anschluss bräuchte ich noch ein Interview von Ihnen. Ist das möglich?«
»Kein Problem.«
Beaufort hörte plötzlich auf zu blättern und starrte auf ein Foto, das ein dickes, in braunes Leder gebundenes Buch zeigte.
»Gefällt Ihnen der Katalog?«, wollte die Kuratorin wissen.
»Was ist das?« Er sah Dr. Neudecker entgeistert an. Ihre Frage schien gar nicht zu ihm durchgedrungen zu sein.
Charlotte Neudecker warf einen Blick auf Seite 230. »Das ist eine Daktyliothek aus der Antikensammlung. Ein mit Leder bezogener Holzkasten, der wie ein Buch aussieht und ins Regal gestellt wird. Aber auf der Rückseite am Buchschnitt sind lauter geheime Schubladen eingebaut. Darin werden Gemmen aufbewahrt. Das sind kleine antike Steinschnitte in Siegelform oder ihre Abgüsse.«
»Das ist tatsächlich kein Buch?«
»Nein, aber es ist mindestens so spannend und informativ wie eines. Lessing und Goethe etwa besaßen solche Gemmensammlungen, um die antike Kunst zu studieren.«
»Dieses Ding stand doch auf Schifferlis Schreibtisch?«
»Ich denke schon. Tom hat auch den Text zu diesem Exponat geschrieben«, sagte sie mit einem Blick auf das Kürzel am Ende der Seite.
Beaufort packte Frau Neudecker am Arm, als wollte er sie wachrütteln. »Wo ist das Buch jetzt?«, fragte er eindringlich.
»In der Ausstellung im Stadtmuseum. Wieso?«
Anne und Frank sahen sich stumm an, eilten wie auf Kommando wortlos davon und ließen die konsternierte Kuratorin einfach stehen.
*
Die Sonne war gerade untergegangen, als die beiden außer Atem vor dem Erlanger Stadtmuseum ankamen. Das schmucke, vier Etagen hohe Sandsteingebäude aus der Barockzeit war vor Jahren mit einem angrenzenden Bürgerhaus aus demselben Jahrhundert vereinigt und generalsaniert worden.Seitdem bot dieser Museumskomplex rund tausend Quadratmeter Ausstellungsfläche für die Geschichte der Stadt und für Sonderschauen. Anne und Frank standen unter dem Eingangsportal am Martin-Luther-Platz und kamen nicht hinein. Das große schwere Eichentor mit der geschnitzten stilisierten Sonne war verschlossen.
»Es ist zu«, stellte Beaufort fest, nachdem er dreimal die Klinke gedrückt und sich gegen das Tor gestemmt hatte.
»Das war ja auch nicht anders zu erwarten um diese Zeit. Warum haben wir nicht Dr. Neudecker mitgenommen? Die hat bestimmt einen Schlüssel.«
»Weil ich ihr immer noch nicht richtig traue. Bloß weil sie ein Alibi für den Mord im Botanischen Garten hat, heißt das ja nicht, dass sie mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun hat. Lass es uns mal von hinten versuchen.«
Sie gingen links am Museum entlang, bogen rechts in die Neue Straße ein, folgten dem Gebäudekomplex und schwenkten dann in eine schmale Gasse, in der einige Autos unter Bäumen parkten. Da gab es zwar ein stählernes Tor, doch war auch das verschlossen. Also marschierten sie weiter zum Altstädter Kirchplatz und standen am Ende wieder vor dem Haupteingang mit den beiden Säulen und dem steinernen Balkon in vier Metern Höhe über ihnen. Das Museum und die anderen direkt angrenzenden Häuser bildeten ein schwer einnehmbares Karree.
»Und jetzt? Sollen wir bei einem der Hausbesitzer klingeln und fragen, ob er uns mal eben durchlässt, weil wir gerne ins Museum einbrechen möchten? Oder machst du einen auf Romeo und kletterst die Fassade hoch?«
»Es hat wenig Sinn, den Balkon zu erklimmen, wenn meine Julia schon neben mir steht.« Er zwinkerte ihr zu. »Komm, wir
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