Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
Gäbelein gar nicht zugetraut. Da sehen Sie es mal wieder: Man kann doch heutzutage keinem Menschen mehr trauen – nicht mal einem Professor.«
Der Präsident lachte herzhaft über seinen Scherz. Frank und Anne, die ihre Hände längst hatten sinken lassen, sahen sich mit einem gequälten Blick an. Der Mann war nicht nur absolut kaltblütig, er genoss diese Situation anscheinend auch noch. Beiden war absolut klar, dass der falsche Roth zu den bereits verübten Morden zwei weitere hinzufügen musste, wenn er seinen Hals retten wollte. Beaufort versuchte, durch Augenrollen nach links Anne die Sache mit dem Revolverwechsel klarzumachen, doch sie schaute ihn nur verständnislos und voller Angst an.
»Und brav die Äuglein zu mir, meine Turteltauben. Haben Sie eigentlich Kinder? Nein? Dabei sind Sie so ein schönes Paar. Das ist doch wieder mal typisch: Das Prekariat wirft einen degenerierten Bankert nach dem anderen, und die Akademiker verschieben ihre Fortpflanzung, bis die Wechseljahre kommen. Für Sie beide ist es dafür aber leider zu spät, fürchte ich. Es wird Zeit, dass wir unseren Plausch beenden, denn ich muss kurz in mich gehen, um eine plausible Erklärung für Ihr plötzliches Ableben zu finden.«
Der Präsident legte affektiert eine Hand an die Stirn, die Denkerpose mimend.
»Lassen Sie Anne gehen! Solange Sie mich als Geisel haben, wird sie nichts gegen Sie unternehmen, und Sie können beruhigt fliehen.«
»Ach Gottchen, wie ritterlich. Jetzt kommt die Mitleidstour – die klägliche Waffe des Gegners, um die eigene Standhaftigkeit zu untergraben. Nein, mein Lieber, Sie beide haben unbedingt Räuber und Gendarm spielen müssen, deshalb werden Sie jetzt auch die Konsequenzen tragen. Außerdem haben Sie nichtsbegriffen, Beaufort. Ich habe nicht vor zu fliehen. Wo sollte ich denn auch hin? Ich habe eine reizende Frau, zwei wohlgeratene Kinder, eine tolle Karriere – ich mag mein wunderbares Leben. Und ich entferne gnadenlos diejenigen daraus, die es mir zerstören wollen.«
Fieberhaft blickten sich Anne und Frank nach einem Fluchtweg um, doch nach ein paar Metern war da nichts als Dunkelheit. Womöglich war gerade das ihr Schutz? Sie mussten für völlige Finsternis sorgen, um sich in ihr verbergen zu können. Wenn der Präsident sie nicht sah, konnte er sie auch schlechter treffen.
»Elegant wäre es ja, Sie bei einem Autounfall ums Leben kommen zu lassen, aber ich befürchte, Sie könnten mir noch entwischen auf dem Weg. Dann doch lieber gleich hier kurzen Prozess machen. Nur, wohin mit Ihren Leichen? Ich könnte Sie im Dechsendorfer Weiher versenken. In dieser Algenbrühe wird man Sie lange nicht finden. Ich könnte aber auch versuchen, Ihren Tod Frau Neudecker in die Schuhe zu schieben. Gäbelein fällt ja leider flach, weil der schon hinter Gittern sitzt. Aber nein, keine Experimente. Ich lasse Sie doch besser auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Nur sollte ich Sie nicht hier mitten im Foyer liquidieren – das macht so auffällige Blutflecken. Wir suchen uns am besten ein abgeschiedenes Kellereck. Na, dann mal los. Wenn Sie die Güte hätten, sich zu erheben. Und das Notebook, liebe Frau Kamlin, nehmen Sie bitte mit.«
Roth wechselte den Revolver wieder in die linke Hand, und Beaufort versuchte Anne ein Zeichen zu geben, indem er seinen Oberschenkel fest gegen ihren presste. Der Präsident trat auffordernd einen Schritt näher. Anne nahm den Rechner von ihren Knien. In dem Moment, als sich beide von der Treppe erhoben, schleuderte sie das Notebook dem Mörder entgegen. Sie traf ihn an der Brust, ein Schuss löste sich, gleichzeitig riss Frank Anne mit sich fort. Der Computer fielkrachend zu Boden, und es wurde schlagartig dunkel. Die beiden rannten, hinter den Säulen Deckung suchend, Richtung rotes Regal, während mehrere Schüsse in ihre Richtung abgegeben wurden. Sie hörten sie kaum – die Waffe musste einen Schalldämpfer haben –, doch sahen sie die Mündungsfeuer aufleuchten. Glas splitterte, etwas Großes, Schweres stürzte polternd um. Auch der Präsident bewegte sich in der dunklen Halle vorwärts. Anne und Frank duckten sich hinter die Regalwand, eng beieinander, reglos, den Atem anhaltend, lauschend.
Die Stille hatte etwas Unheilvolles. Wo steckte Roth jetzt? Wenigstens wussten die beiden ganz genau, wo sie sich befanden. Sie waren etwa gleich weit von der Treppe zur Rechten und dem Hauptausgang zur Linken entfernt. Da der aber verschlossen war, saßen sie ziemlich in der Falle.
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