Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
besten schicke ich jemanden vorbei, der es Ihnen erklären kann. Wo genau im Botanischen Garten findet Sie der Kollege?«
»Im Wirtschaftsgebäude, 1. Stock.«
»Gut. Er ist in fünf Minuten da.«
Auch wie man das Gespräch wieder beendete, wusste Beaufort nicht. Doch das Display wurde bald von allein dunkel, und so ließ er das Handy einfach in seine Tasche zurückgleiten.
*
Seit bald zweihundert Jahren befand sich der Botanische Garten an der Nordseite des Schlossparks mitten in der Erlanger Innenstadt. Auf nur knapp zwei Hektar wuchsen hier mehr als viertausend Pflanzenarten, winzig kleine Flechten ebenso wie der mächtige Ginkgobaum. Nahezu sämtliche Vegetationszonen der Erde konnte der Besucher in der Anlage kostenlos durchschreiten. Von der arktischen Tundra bis zum tropischen Regenwald reichte das Spektrum, in allen Formen, in allen Farben: orangefarbene Wildsonnenblumen aus Mexiko, leuchtend roter Island-Mohn, rosarote kerzenartige Teide-Natternköpfe von den Kanaren, lilafarbene Schwertlilien aus Sibirien, knallgelbe Orchideen aus dem Amazonasurwald und weiße Waldanemonen aus Oberfranken. Von allen Sammlungen der Universität war der Botanische Garten nicht nur die bekannteste, sondern auch die schönste. Beaufort mochte diesen Ort der Vielfalt und der Versenkung und kam gern hierher. So konnte man sich den Paradiesgarten vorstellen, fand er. Für ihn war das eine Art Eden auf Erden. Doch auch wenn er gerade von der Anatomie, dem Haus des Todes, kommend das Areal des Lebens betrat, hatte er in diesem Moment keinen Blick für dessen Schönheiten. Achtlos durchquerte er auf wenigen Metern die Nadelwälder Nordamerikas, Mitteleuro-pasund Asiens, ließ die faszinierende Alpenvegetation des Hochgebirges gleichgültig links liegen und passierte selbst die tropischen Wasserbecken mit den blühenden Seerosen und Lotosblumen völlig teilnahmslos. Das alles nur, weil er es eilig hatte, die wissenschaftliche Leiterin des Gartens zu treffen, aber gleichzeitig noch nach einer Strategie suchte, wie er ihr gegenübertreten sollte. Woran man wieder einmal sehen konnte, wie leicht sich der schäbige Schatten des Schwindelns auf den schönen Schimmer der Schöpfung legen konnte.
Das Wirtschaftsgebäude, ein zweigeschossiger Flachdachbau aus den späten Siebzigern, lag am Hof hinter den großen Gewächshäusern. Hier gab es einen voluminösen Komposthaufen, große Behälter mit verschiedenen Erden und Düngern und allerlei Arbeitsgerät für die Gärtner. Als er das Haus betrat, entschloss er sich, das Theater, in das ihn seine spontanen Ausreden und Aktionen gebracht hatten, einfach weiterzuspielen und den Polizeibeamten zu mimen. Die Chance, jetzt sofort, quasi von Amts wegen, mit einer Sammlungsleiterin über Schifferli sprechen zu können, wollte er sich einfach nicht entgehen lassen. Während draußen alles grünte und blühte, schien hier drinnen alles tot zu sein. Die Wände und der Treppenaufgang waren mit getrockneten Pflanzenteilen zugestellt und zugehängt – »geschmückt« konnte man dieses Sammelsurium aus Holzstücken, Schaukästen mit Samen und Vitrinen, vollgepfropft mit für den Laien unansehnlichen Wurzeln und Blättern, eher nicht nennen. Des Eindrucks ungezügelter Sammelleidenschaft konnte man sich auch oben im schlauchförmigen Büro der Kustodin nicht erwehren. Die Tür zu dem Raum, an dem der Name Dr. Mareike van der Veldt prangte, stand offen. Als Beaufort klopfte, befahl von ganz weit hinten eine raue Stimme, dass er einfach durchkommen solle. Doch so einfach ging das nicht. Das Büro war so zugestellt mit weit in den Raum hineinragenden, prall gefüllten Bücherregalen, dass er nur in Schlangenlinien durch dieses Labyrinthhindurchgehen konnte. Selten hatte er so viele Bücher auf so engem Raum gesehen. Auch sämtliche Tische, die er auf seinem Weg passierte, waren oft hoch mit Büchern und Papieren vollgestapelt. Es gab nicht eine größere freie Abstellfläche hier. Ganz am Ende des Parcours saß eine kleine, drahtige Frau mit grauem Pagenkopf über ein Mikroskop gebeugt und brachte dabei auch noch das Kunststück fertig zu rauchen.
»Einen kleinen Moment noch«, sagte Dr. van der Veldt, ohne aufzublicken, drehte an einem Rädchen des Vergrößerungsgeräts, notierte etwas und begrüßte erst dann ihren Besucher, der sich als Müller von der Kripo Erlangen vorstellte. Ein Allerweltsname schien ihm am sinnvollsten für seine erschwindelte Identität zu sein.
»Viele Bücher haben Sie
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