Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
schnaubte verächtlich aus.
»Das hätte ich jetzt nicht schöner formulieren können«, lächelte Beaufort. »Mich betrachtet der Kommissar als Angeber mit Profilneurose. Aber der soll sich noch wundern. Ich habe nicht die Absicht klein beizugeben.«
»Und was wollen Sie machen?«
»Eigene Ermittlungen anstellen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich das tue.« Er fixierte ihre wasserblauen Augen. Die Kuratorin hatte eine edle schmale Nase und war eine dieser ungeschminkten Schönheiten, die man erst auf den zweiten Blick als solche wahrnahm. »Helfen Sie mir dabei?«
Sie strich sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Wenn Sie glauben, dass ich dafür Zeit habe, dann täuschen Sie sich. Ich muss zuerst schauen, wie ich die Ausstellung noch auf die Reihe bekomme«, wehrte sie ab.
»Ich will ja gar nicht, dass Sie selbst etwas unternehmen. Sie würden mir schon weiterhelfen, wenn Sie mir ein paarEinblicke in die Arbeit Ihres Kollegen geben könnten.« Er sah, wie sie mit sich rang. »Bitte. Es ist für Tom.«
Charlotte Neudecker blickte noch einmal auf den Blutfleck am Boden. »Also gut«, sagte sie schließlich, »Aber nicht hier. Gehen wir in mein Büro.«
*
Während die Kuratorin ihr Fahrrad neben ihm die Universitätsstraße entlangschob, erhielt Beaufort einige wichtige Auskünfte. Sie hatte gestern Abend noch gegen halb elf mit Tom Schifferli in seinem Büro telefoniert. Das war eine gute halbe Stunde, nachdem Beaufort mit dem Wissenschaftler hin- und hergemailt hatte, und es war das bislang letzte definitive Lebenszeichen von ihm. Sie hatte ihm nur kurz mitgeteilt, dass sie heute Morgen etwas später zu dem Treffen mit ihm kommen würde, weil sie vorher noch eine Runde im Freibad drehen wollte. Damit war auch geklärt, wer Schifferlis Halb-9-Uhr-Termin gewesen wäre. In dieser letzten Phase vor der Ausstellung trafen sich die beiden Kuratoren fast täglich, um ihre Schritte miteinander abzustimmen. Auf Beauforts Frage, wann denn das Seminargebäude zugesperrt werde, konnte sie nur eine ungefähre Antwort geben. Meistens schloss der Hausmeister so gegen 9.00 Uhr abends ab, wenn alle Seminare beendet waren. Um halb elf war das Haus mit Sicherheit verriegelt gewesen. Es gab aber eine Menge Wissenschaftler, die einen Schlüssel zum Gebäude hatten, um dort gegebenenfalls auch spät abends, früh morgens oder an den Wochenenden arbeiten zu können. Schifferlis Mörder musste also entweder vorher in das Gebäude gekommen sein und sich irgendwo versteckt haben oder aber mit einem Schlüssel hineingelangt sein. Ein ziemlich großer Kreis an Verdächtigen und somit eine Spur, die derzeit nicht weiterführte, wie Frank fand. Über Schifferlis persönliche Verhältnisse erfuhr er, dass der in einerkleinen Wohnung in Büchenbach lebte, keine feste Beziehung hatte und wohl auch sonst ein ziemlicher Einzelgänger gewesen sein musste.
Frau Neudecker bog in die Krankenhausstraße ein, hielt vor dem repräsentativen grauen Steingebäude am südöstlichen Ende des Schlossgartens, schob ihr Rad dort in einen freien Ständer und kettete es fest. Beaufort hatte dieses klassizistische Bauwerk mit der großen Freitreppe davor, das aus dem Ende des 19. Jahrhunderts stammen musste, schon immer bewundert, doch noch niemals einen Fuß hineingesetzt. Es war das Anatomische Institut, zu dem die Öffentlichkeit keinen Zutritt hatte. Und das war nach Beauforts Meinung auch ganz gut so. Bei dem Gedanken daran, dass dort drinnen gerade Medizinstudenten an toten Körpern herumschnippelten, wurde ihm ganz anders. Er blieb zögernd am Fuß der Treppe stehen, als seine Begleiterin die Stufen hochging.
»Sie wollen doch nicht wirklich dort hinein, oder?«
»Aber natürlich. Da drinnen ist mein Büro. Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass ich Ärztin bin – mit einem Zusatzstudium in Medizingeschichte? Sie haben doch nicht etwa Angst?« Sie lächelte ihn von oben herab an, was auch daran liegen konnte, dass sie ja tatsächlich einige Meter über ihm stand.
»Natürlich nicht.« Er nahm sich zusammen und folgte ihr.
Beaufort wusste auch nicht genau, was er erwartet hatte. Einen beißenden Geruch nach Formalin wahrscheinlich und Sektionstische mit fürchterlichen Werkzeugen zum Zerstückeln von Leichen. Aber natürlich war im Foyer von all dem nichts zu bemerken. Im Gegenteil. Er war fasziniert von der riesigen Marmortreppe und der Kassettendecke hoch über ihnen, die dunkelblau und golden schimmerte. Frank folgte der Kuratorin
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