Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
Und was wir jetzt noch sind – lebendige Menschen – das waren die hier auch einmal.«
»Die Anatomische Sammlung als Memento mori«, resümierte Beaufort. »So kann man es natürlich auch sehen.«
Beim Betrachten der nach Größe aufgereihten Kinderskelette waren die Exkrankenschwester und der Oberpräparator dann schon wieder am Fachsimpeln. Beaufort trottete leicht gelangweilt hinterher. Für die Mordermittlung schien auch dieser Besuch eher unergiebig zu sein, aber was tat man nicht alles, um seiner Freundin eine Freude zu bereiten.
Sie betraten einen zweiten, kleineren Raum, der zur Universitätsstraße hin lag. Darin fanden sich Vitrinen voller menschlicher Schädel, mehrere Skelette, altertümlich wirkende medizinische Modelle aus Kunststoff und in einem hohen Schrein, vor dem sie stehen blieben, zwei aufrechte Tote, an denen Muskeln, Blutgefäße und innere Organe freilagen.
»Das ist unser Raum mit den Trockenpräparaten. Hier befinden sich unsere ältesten Stücke. Dieses Pärchen hier ist schon über zweihundert Jahre alt. Möglicherweise stammen diese beiden Ganzkörperpräparate sogar noch von der Universität Altdorf aus der Sammlung des großen Anatomen Lorenz Heister.«
Beaufort, der schon länger nichts mehr gesagt hatte, wurde hellhörig: »Ist das der Arzt, der ein Standardwerk der Medizin geschrieben hat?«
Ciseaux sah ihn verblüfft an. »Genau. Es gibt sogar zwei große Bücher von Heister. Einmal das Compendium Anatomicum und dann seine berühmte Chirurgie , das erste Werk überhaupt, das sich wissenschaftlich mit einem Gebiet befasste, für das damals noch die niederen Wundärzte zuständig waren, die alle nicht studiert hatten.«
»Sie kennen sich ja bestens aus«, stellte Beaufort nachdenklich fest.
»Sie aber auch.«
»Frank ist ein richtiger Bibliomane – bei Büchern ist er Experte«, verkündete Anne stolz. Dann deutete sie auf den aufrecht stehenden Toten, bei dem die Arterien rot, die Venenblau und die Nerven gelb gefärbt waren. »Die schaut aber klein aus, die Leber. Und die anderen inneren Organe auch alle.«
»Die sind bei der Konservierung damals geschrumpft. Wahrscheinlich hat man sie zuerst im Alkoholbad entwässert und dann den ganzen Leichnam in flüssiges Wachs gedrückt. Aber fällt Ihnen sonst nichts auf an dem Mann?«
»Mit dem angewinkelten Arm und dem zurückgelegten Kopf wirkt er irgendwie so inszeniert. Das erinnert mich ein bisschen an Gunter von Hagens Körperwelten .«
»Auf den wir nicht gut zu sprechen sind, weil das nur Show ist und keine Wissenschaft. Aber ein wenig erinnert dieses Präparat hier tatsächlich an anatomisches Theater, das ist richtig. Aber das meinte ich nicht.« Ciseaux’ blaue Augen schauten erwartungsvoll von Anne zu Beaufort.
»Dieser Mann trägt das Herz auf dem rechten Fleck, würde ich sagen.«
»Mensch, Frank, das stimmt! Ist mir überhaupt nicht aufgefallen. Alle Organe sind spiegelverkehrt. Hat da der Präparator gepfuscht?«
Jung Siegfried lächelte wissend. »Da kann ich Ihnen ja doch noch etwas Neues beibringen in Anatomie, Frau Kamlin. Das ist ein Situs inversus, bei dem sämtliche Organe im Brust- und Bauchraum seitenverkehrt gewachsen sind. Kommt sehr selten vor, ist aber keine Krankheit. Die Leber tut auch links ganz normal ihren Dienst.«
»Apropos Krankheit. Wo sind eigentlich Ihre pathologischen Präparate? Ich würde gerne mal sehen, wie zum Beispiel eine Leberzirrhose aussieht.«
»Das ist eine traurige Geschichte. Diese Sammlung ist in einem sehr schlechten Zustand. Aber ich kann sie Ihnen natürlich gern zeigen. Auch daraus gehen Exponate in die große Ausstellung.«
Während sie die repräsentativen Schauräume der Anatomischen Sammlung hinter sich ließen und immer tieferhinabstiegen, bis sie nach der Durchquerung des kompletten Gebäudes an einem abgelegenen Keller anlangten, erklärte Ciseaux, dass die Pathologische Sammlung in den vergangenen Jahrzehnten kaum mehr gepflegt und mehrfach verkleinert worden sei. Als das Pathologische Institut vor ein paar Jahren saniert werden sollte, sei die Sammlung zur Zwischenlagerung hierhergekommen, wo sie sich noch heute befinde. Leider immer noch in einem ziemlich erbärmlichen Zustand, da auch in der Anatomie kaum Kapazitäten frei seien, um die Sammlung zu restaurieren. Als der Präparator die Tür öffnen wollte, stellte er verwundert fest, dass sie gar nicht abgeschlossen war und innen Licht brannte.
»Hallo, ist da jemand?«, rief Ciseaux in den
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