Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
komplett zugestellten Keller hinein. Auf engstem Platz waren Reihe an Reihe moderne Metallregale aufgebaut, in denen dichtgedrängt staubige Gläser voller Organe standen.
»Ja, ich«, kam eine zaghafte Antwort aus der Tiefe des Raumes.
»Roswitha? Bist du das?«
»Äh, ja«, ließ sich die näherkommende Stimme vernehmen, und einige Sekunden später tauchte eine Frau auf, die eine schwere Fotoausrüstung mit sich schleppte. Sie war um die fünfzig, mittelgroß, ein bisschen füllig um die Hüften, trug Blue Jeans und T-Shirt und einen biederen Kurzhaarschnitt, in dem schon viele graue Fäden steckten. Beaufort erkannte sie sofort wieder. Es war van der Veldts Mitarbeiterin, die gestern die Stechäpfel im Botanischen Garten fotografiert hatte. Sie schaute schüchtern in die Runde und ließ sich nicht anmerken, ob sie Beaufort ebenfalls wiedererkannte.
»Was tust du denn hier?«
»Ich musste noch ein paar Fotos nachmachen für den Katalog. Aber ich bin gerade fertig geworden. Schönes Wochenende noch.« Und mit einer Geschmeidigkeit, die man ihr bei dem sperrigen Gepäck gar nicht zugetraut hätte, schlängeltesie sich rasch an den dreien vorbei und verließ fast fluchtartig den Keller.
»Wer war denn das?«, wollte Anne wissen.
»Das war Roswitha Weyrauch, unsere Universitätsfotografin.«
»Universitätsfotografin? Das hat ja fast einen Touch von königlich-bayerischem Hoffotograf. Hat die überhaupt genug zu tun?«
»Na, überlegen Sie mal, was allein in den Sammlungen zu fotografieren und zu dokumentieren ist. Ganze Sammlungsbereiche werden digitalisiert, um Bilder von Steinen, Scherben, Münzen oder Pflanzen im Internet zugänglich zu machen.«
»So wie die Himmelsfotos aus der Bamberger Sternwarte?«, fragte Beaufort.
»Bamberg?« Ciseaux war irritiert. »Nein, die haben eine eigene Uni. Ich rede von unserer Friedrich-Alexander-Universität.«
Frank und Anne lächelten sich vielsagend an.
»Außerdem macht Roswitha die Fotos für den Ausgepackt -Katalog«, fuhr der Präparator fort. »Und ab und zu knipst sie auch welche für die Presseabteilung.«
Dann fuhr André Ciseaux mit der Besichtigung fort und zeigte den beiden einige der über hundert Jahre alten Präparate, an denen man die Auswirkungen bestimmter Krankheiten auf den Körper in einzigartiger Weise hätte studieren können, wenn sie denn in gutem Zustand gewesen wären. Doch viele der Glasgefäße waren staubig und teilweise beschädigt. Die Versiegelung war porös geworden, sodass sich der Alkohol verflüchtigt hatte und manche Präparate vertrocknet waren. Andere Organe waren von Schimmelpilzen befallen oder kaum noch in ihren Zylindergläsern zu erkennen, weil sich die einst klaren Konservierungsflüssigkeiten zu einer gelben Brühe verfärbt hatten. Denn Formaldehyd, erläuterte der Präparator, löst die Fette aus den Geweben und färbt sie ein.
Beaufort fühlte sich extrem unwohl hier unten. Das alles erinnerte ihn mehr an eine Gruft als an eine wissenschaftliche Sammlung. Hinter jedem Präparat steckte eine individuelle Lebens- und Leidensgeschichte, die tödlich geendet hatte. Bei allem Verständnis fürs Sammeln – für Frank waren hier die Grenzen seiner Pietät überschritten. Anne sah das anders, aber Gott sei Dank hatte auch sie bald genug von Staublunge und Syphilis-Gehirn, Zehengangrän und Zuckergussmilz, und sie verließen den engen Keller wieder. Beaufort atmete befreit auf, als Ciseaux die Tür hinter ihnen abschloss. Doch wurde seine Erleichterung gleich wieder zunichte gemacht, als Anne fragte: »Wo restaurieren Sie eigentlich die pathologischen Präparate? Ich nehme ja nicht an, dass Sie die so in die Ausstellung geben.«
»Im Leichenraum. Möchten Sie ihn sehen?«
»Ja!« »Nein!«, ertönten die simultanen Antworten. Die eine mit Enthusiasmus, die andere mit Abscheu ausgesprochen.
Anne wandte sich halb belustigt, halb befremdet an Frank. »Jetzt sei kein Frosch.«
Wenn er nicht als Waschlappen dastehen wollte, musste er sich fügen, obwohl ihm schon ganz flau im Magen war. Beaufort erkannte sich selbst nicht wieder. Gut, er war nicht besonders scharf auf diese Sammlungen hier, aber ein Feigling war er gewiss nicht. Und der Anblick von Toten, selbst der von Mordopfern, hatte ihn bislang nie groß aus der Fassung gebracht. »Wenn’s denn sein muss, komme ich mit«, lächelte er schief.
Wieder folgten sie dem blonden Hünen, doch diesmal ging es nach oben ins Foyer und von dort durch Flure und Gänge bis vor
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