Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
eine große Tür. Deren untere Hälfte war mit Edelstahl beschlagen, in Kopfhöhe hatte sie ein Bullauge. Der Präparator schloss auf.
»Hereinspaziert in den Leichenkeller, der bei uns eigentlich ein Leichenerdgeschoss ist.«
Sie betraten einen großen gekachelten Raum mit hellen Bodenfliesen. Zahlreiche Deckenleuchten sorgten dafür, dass hier drinnen nichts im Dunkeln blieb. In der Mitte thronte ein großer steinerner Seziertisch. An der Außenwand befanden sich, in Reih und Glied, mehrere gekachelte, badewannenartige Tanks, die mit Edelstahldeckeln verschlossen waren. Zwischen zwei dieser Wannen stand eine stählerne Bahre auf Rollen. Darauf lag ein in blaues Plastik eingewickelter Toter – eine starre, bleiche Hand schaute darunter hervor. Neben einer zweiten Tür war eine weitere Edelstahlbahre, auf der ebenfalls eine Leiche lag, deren Umrisse sich unter dem feuchten blauen Tuch abzeichneten. Es war kalt und roch unangenehm süßlich.
»Das müffelt aber ungut hier«, stellte Beaufort fest.
»Ich muss Ihnen gestehen: Ich rieche es nicht«, bekannte Ciseaux. »Aber da mir das jeder sagt, der hier reinkommt, gehe ich mal davon aus, dass es stimmt. Wahrscheinlich liegt das an der Balsamierungsflüssigkeit.« Er deutete auf die gekachelten Wannen. »Da drunter sind große Tanks in den Boden eingelassen. Bis zu achtzehn Leichen können wir hier aufbewahren, ehe sie von den Studenten seziert und präpariert werden.«
»Geschieht das hier drin?«, wollte Anne wissen.
»Nein, dazu sind es zu viele Studenten. Der große Präparationssaal ist oben im zweiten Stock direkt über der Anatomischen Sammlung. Da erkunden die Medizinstudenten dann Schicht um Schicht die toten Körper.«
»Warum eigentlich? Die könnten sich doch auch einfach Ihre Sammlung anschauen?«
»Das muss sein«, sagte der Präparator im Brustton der Überzeugung. »Nur an einem echten Körper lernen die Studenten, dass der Mensch kein Plastikmodell ist. Wenn Sie einmal selbst eine Aorta freigelegt haben, werden Sie später eine Herzkatheteruntersuchung ganz anders durchführen.«
»Und wo stellen Sie jetzt die alten Organe aus dem Keller wieder her?« Beaufort verspürte leichte Übelkeit wegen des Geruchs und wollte endlich raus hier.
Ciseaux führte sie in einen Nebenraum, wo in einem Porzellanbecken drei blaue Plastikeimer standen, in die blubbernd Wasser hinein- und wieder herausfloss.
»Hier werden die Pathologiepräparate unter leicht fließendem Wasser vierundzwanzig Stunden lang gespült, nachdem sie zuvor wochenlang in einer Fixierlösung waren.« Er griff in den Eimer und hob ein Gehirn heraus. »Das war total schimmelig, jetzt sind nur noch ein paar Reste von dem Pilz dran. Es wird anschließend noch einmal chemisch behandelt und dann mit neuer Konservierungsflüssigkeit zurück ins gereinigte Glas gegeben.«
»Ist da ein Loch in dem Gehirn?«
»Sehr aufmerksam, Frau Kamlin. Dieses Präparat ist über hundert Jahre alt und stammt aus der Gerichtsmedizin. Da wir die Sektionsunterlagen von damals noch haben, lässt sich der Fall rekonstruieren. Der Besitzer dieses Gehirns kam zu Tode, weil ihm jemand mit voller Wucht eine Schere in den Schädel gerammt hat.«
»Der Pathologe weiß alles, nur leider zu spät«, frotzelte Anne.
Ciseaux lachte herzlich. »Den Satz muss ich mir merken.« Er ließ das Präparat behutsam in den Eimer zurückgleiten. »Frau Neudecker hätte das Gehirn ja gern in der Ausstellung gehabt, aber es wird wohl nicht mehr rechtzeitig fertig werden.«
»Haben Sie vom Tod Ihres Kollegen Tom Schifferli gehört?«, fragte Beaufort.
»Natürlich. Die Nachricht hat sich unter uns Sammlungsleuten wie ein Lauffeuer verbreitet. Es soll ja wohl ein Suizid gewesen sein, was man so hört.«
»Kannten Sie ihn gut?«
»Nicht besonders. Wir sind uns hier ein paarmal begegnet und haben immer ein wenig geplaudert. Meistens auf Französisch, er war ja Schweizer. Netter Kerl. Aber viel zu tun hatte ich nicht mit ihm. Für die Anatomie ist Frau Neudecker zuständig.«
»Die hat jetzt ganz schön viel Arbeit, wenn sie die Ausstellung noch rechtzeitig fertig bekommen will, die Arme«, bemerkte Anne.
»So arm dran ist sie nun auch wieder nicht. Ich schätze, dass sich unter ihre Tränen der Trauer auch ein paar Krokodilstränen gemischt haben.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Beaufort, die Erregung in seiner Stimme mühsam unterdrückend.
Der Präparator kratzte sich hinterm Ohr. »Na ja, ich weiß ja nicht, wie gut Sie die
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