Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
aufgerissenen Augen. Eine schmerzende, fast überirdische Helligkeit, die ihn blind machte. Die Schritte verstummten. Jemand stand direkt vor ihm. Er spürte die Anwesenheit ganz deutlich. Doch er konnte sich nicht regen. Nicht sprechen. Nicht einmal blinzeln. Schutzlos. Wehrlos. Hilflos. Er hörte ein Rascheln. Ganz nah. Dann stülpte ihm jemand eine Plastiktüte über den Kopf.
*
»Du musst ganz ruhig in die Tüte atmen. Hörst du mich? Du brauchst dringend Stickstoff.«
Es war Annes Stimme, die da zu ihm sprach. Annes Körper, der neben ihm kniete. Annes Hand auf seiner Schulter, die ihn aufrichtete.
»Ausatmen. Und wieder einatmen. So ist es gut.«
Anne, Fels in der Brandung. Er tat, was sie verlangte, und spürte, wie die Angst langsam abflaute, die Kontrolle über seine Gliedmaßen zurückkehrte.
»Nur noch ein paar Atemzüge, dann kann ich dich wieder befreien.«
Anne klang ruhig und souverän. Voller Kraft und Wärme. Eine Stimme, der man gern vertraute.
»So, ich glaube, jetzt bist du wieder da.« Sie zog die Tüte von seinem Kopf und verstaute sie in ihrer Reportertasche. »Wie gut, dass ich immer eine Plastiktüte dabeihabe, damit mein Aufnahmegerät nicht nass wird, falls es mal regnet.« Sie lächelte ihn besorgt an. »Geht’s besser?«
Beaufort nickte. Er brachte kein Wort heraus. Sein Mund fühlte sich an, als ob er gerade ein Schnapsglas voll Semmelbrösel hineingekippt hätte.
»Kannst du aufstehen? Warte, ich helfe dir.«
Anne schob ihren Arm unter seine Achsel und zog ihn hoch. Ein bisschen wackelig stand er auf seinen Beinen, doch mit ihrer Hilfe konnte er gehen.
»Lass uns erst mal raus hier. Hoch ins Helle und an die frische Luft.«
»Wo ist der Mann?«, röchelte er.
»Welcher Mann? Ich habe hier keinen Mann gesehen, außer Dr. van der Veldts Mitarbeiter hinten im Herbarium. Kannst du ein bisschen schneller? Sonst geht das Licht wieder aus. Es schaltet sich automatisch ab. Und ich hab eben im Dunkeln ganz schön suchen müssen, bis ich einen Schalter gefunden hatte.« Sie erreichten die Kellertür mit dem Lederriemen und gingen hindurch. »Ich kann dir gar nicht sagen, was du mir für einen Schrecken eingejagt hast, als du plötzlich bleich wie der Tod vor mir auf dem Boden lagst.« Langsam stiegen sie die Treppen hinauf. »Aber dann hab ich deine komische Atmung und die Pfötchenstellung bemerkt und gleich gewusst, was los ist. Da zahlt es sich doch aus, wenn man eine ehemalige Krankenschwester zur Freundin hat.« Sie waren oben angekommen und schritten Seite an Seite durch den Flur nach draußen. »Hyperventiliert hast du. Nur noch eingeatmet, aber nicht mehr ausgeatmet. Zu viel Sauerstoff. Du warst kurz vor einer Ohnmacht. Da hilft es am besten, in eine Tüte zu schnaufen und den eigenen Stickstoff einzuatmen, bis das Atemzentrum wieder richtig arbeitet.« Anne bugsierte ihn zu einer Bank im Innenhof, die bei einem kleinen schilfbewachsenen Teich stand, und lächelte ihn an. »So etwas passiert sonst eigentlich nur hysterischen Teenies bei einem Popkonzert ihres Idols. Bei ausgewachsenen Männern ist das eher unüblich. Setz dich hier ein wenig hin.« Er ließsich erschöpft auf die Bank sinken. Anne reichte ihm aus ihrer Tasche eine kleine Plastikflasche mit Mineralwasser. »Wie ist das nur passiert?«
Beaufort trank gierig und blickte sich dann suchend nach seinem Verfolger um. Doch er konnte niemanden entdecken. Er hörte nur Vogelgezwitscher und das Summen der Insekten. Die reinste Sommeridylle. Hatte er sich das alles nur eingebildet?
»Ich war auf der Suche nach dir, hatte aber plötzlich das Gefühl, dass mich so ein junger Typ verfolgt. Bei meinen Versuchen, ihn abzuschütteln, bin ich dann in den Keller runter. Plötzlich ging das Licht aus, und ich war wie gelähmt, konnte mich überhaupt nicht mehr rühren. Als du mir die Tüte über den Kopf gestülpt hast, hab ich geglaubt, das ist mein Ende. Denkt man ja nicht, dass das eine medizinische Maßnahme sein soll. Außerdem hab ich dich nicht erkannt, weil mich das Licht so geblendet hat.«
»Ach, mein Armer«, sagte sie mitfühlend, »leg dich ein bisschen hin.« Sie rückte an den Rand der Bank, sodass Frank sich ausstrecken konnte, und bettete seinen Kopf in ihren Schoß. »Glaubst du, das war der Mörder?«
»Keine Ahnung. Ich habe den Typen noch nie zuvor gesehen. Aber nachdem ich mich sowieso schon lächerlich gemacht habe, kann ich dir ja auch gestehen, dass ich mir gerade nicht mehr sicher bin, ob der Mann
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