Tod im Dom
rollenden Hüftbewegungen. »Ausgerechnet jetzt, wo was ganz anderes steht?« fragte sie anzüglich, obwohl es überhaupt nicht stimmte. Oder jedenfalls nur zum Teil. »Ich bleibe lieber liegen. Ich habe kein Vertrauen zu irgendwelchen Salben, und mein Knie braucht Schonung.«
Natürlich brauchte sie etwas völlig anderes, aber ich war nicht so leichtsinnig, das Gespräch in falsche Bahnen zu lenken. Es war auch so schon schwer genug für mich.
»Meine Haare!« sagte ich statt dessen. »Ich muß mir das Färbemittel auswaschen. Außerdem wartet das Schließfach auf uns. Vielleicht liegt in ihm der Beweis für meine Unschuld! Um dein Knie können wir uns kümmern, wenn wir wieder zurück sind.«
»Nur um das Knie?«
Ich seufzte. »Von mir aus auch um alles andere. Hauptsache, du stehst jetzt auf.«
Für einen Moment meinte ich wirklich, was ich sagte. Dann dachte ich an Ibiza, die Sonne, das Meer, an all die einsamen Frauen am Strand und an die grausame Enttäuschung, die ich ihnen bereiten würde, wenn ich nicht zu ihnen flog.
Ibiza klang viel besser als Leipzig.
Und Fliegen war schöner als Trabbifahren.
Dachte ich jedenfalls.
5
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Wenn man sich überhaupt auf etwas verlassen kann, dann darauf, daß nichts so ist, wie es zu sein scheint. Täuschung regiert die Welt, das ganze Jahr ist Maskenball, und nicht einmal seinem Spiegelbild kann man mehr vertrauen.
Ich will damit nicht andeuten, daß ich paranoid gewesen bin, obwohl ich wirklich genug Gründe hatte, dem Verfolgungswahn zu verfallen. Aber wer das, was er sieht, für die Wirklichkeit hält, liegt garantiert daneben.
Mein falscher Gipsarm ist ein gutes Beispiel für den schönen Schein, der Juniorchef mit seiner Boss-Garderobe und seinen Schlangeniedertretern ein anderes – wer hätte geahnt, daß sich hinter seinem seriösen Outfit ein Neandertaler verbarg, der jederzeit zu Mord und Totschlag bereit war?
Außer mir vermutlich niemand.
Oder nehmen wir Anja Behrens.
Mit ihren zeltähnlichen C&A-Jeans, ihrer abscheulichen bananengelben Öljacke und ihrer monströsen Hornbrille sah sie auf den ersten Blick aus, als hätte sie den Sex abgeschafft, weil sie Erotik für eine unheilbare Nervenkrankheit hielt. Eine Frau, die mit einer Brille durch die Gegend läuft, die rund 90 Prozent des Gesichts bedeckt, darf sich nicht wundern, wenn sie bei einem sensiblen Mann wie mir auf Skepsis stößt – Kurzsichtigkeit ist eine Sache, Sex mit einem Teleskop eine andere.
Inzwischen wußte ich es besser.
Sie war vielleicht ein kleines blondes Pummelchen mit einem extrem übersteigerten Sinn für Romantik, aber sie hatte mehr Sex-Appeal, als für mich und meine Ibizapläne gut sein konnte. Wenn alle Ossi-Frauen so waren wie sie, dann konnte ich verstehen, warum Honecker sie eingemauert hatte. Das Beste, was einem das Leben beschert, teilt man nicht gern mit anderen.
Ich sah sie direkt vor mir – Honi, Shubidu Schabowski und Gaga Mielke, wie sie sich in ihrem Wandlitzer Politbüro-Ghetto die Pornofilme reinzogen, die sie ihren Arbeitern und Bauern strengstens verboten hatten, und bei jedem Ausreiseantrag einer knackigen Jungdissidentin akute Potenzprobleme bekamen. Wer wie sie an die historische Überlegenheit des sozialistischen Schwanzes geglaubt hatte, der konnte gar nicht anders, als in jeder Republikflucht einen Seitensprung zu sehen, der direkt ins Lotterbett des Klassenfeindes führte.
Die Mauer hatte ihnen auf die Dauer nichts genutzt; die DDR war abgeschafft, die volkseigene Porno-Videothek in Wandlitz privatisiert, und die Wiedervereinigung fand auf allen Ebenen statt, von denen die zwischenmenschliche für mich derzeit die gefährlichste war.
Die paar Minuten auf der schmalen Couch hatten mir die Augen geöffnet; mein Traum vom süßen Leben auf Ibiza drohte nicht nur an Mr. Häßlich, sondern auch an Anja Behrens zu scheitern. Ich mußte jetzt an zwei Fronten um meine Freiheit kämpfen, und ob ich siegen würde, war ziemlich zweifelhaft.
Die Fahrt zum Bahnhof verschaffte mir eine kurze Atempause. Anja trug wieder Hornbrille und Öljacke, und ich war zu sehr mit meiner Angst vor der Polizei beschäftigt, um an Sex auch nur zu denken.
Ich rechnete nicht wirklich damit, an jeder Straßenecke auf einen Fahnder zu stoßen, aber der Zufall – oder das Schicksal, wie Anja sagen würde – hatte mir heute schon genug böse Streiche gespielt. Was war, wenn uns die Vorsehung geradewegs in eine Polizeikontrolle trieb?
Das Haarfärbemittel hatte
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