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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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ihm, ohne mir meine Nervosität anmerken zu lassen. »Wir gehen zum Trabbi und holen die Tasche. Aber schön vorsichtig.«
    »Und keine Tricks«, fügte Anja hinzu.
    Sie gab ihm einen weiteren aufmunternden Stups mit dem Messer, und wir setzten uns in Bewegung. Es war nicht einfach. Paul wagte keine hastigen Bewegungen, weil er das Messer fürchtete; ich wagte keine hastigen Bewegungen, weil ich seine verdammte Knarre fürchtete; und Anja war voll und ganz darauf konzentriert, Paul zu entmannen, sollte er den Fehler machen und mich durchlöchern. Wir kamen nur im Schneckentempo vorwärts. Der Major folgte uns in respektvollem Abstand.
    Endlich waren wir am Trabbi angelangt und blieben stehen.
    »Und jetzt?« fragte Anja.
    »Das würd’ ich auch gern wissen«, sagte Paul. »Ehrlich!«
    »Die Schlüssel, Anja«, befahl ich. »Gib mir die Schlüssel!«
    Anja kramte mit der freien Hand in ihrer Pink-Panther- Tasche und drückte mir die Autoschlüssel in die Hand. Paul nutzte die günstige Gelegenheit und wich etwas zurück, aber sie zwickte ihn sofort mit der Messerspitze, und er erstarrte.
    »Hören Sie auf damit, Menschenskind!« keuchte er. »Ich dachte, wir sind uns einig! Keine Gewalt! He, Hendriks, sagen Sie Ihrer Freundin, daß Sie damit aufhören soll!«
    Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis einer von uns die Nerven verlor, und Paul war eindeutig derjenige mit dem dünnsten Nervenkostüm und der tödlichsten Waffe.
    Ich griff um ihn herum, steckte den Schlüssel ins Schloß und öffnete die Fahrertür.
    »Holen Sie die Tasche raus, Paul«, sagte ich. »Sie liegt auf dem Rücksitz.«
    »Ich? Wieso ich? Wieso nicht Ihre Freundin?«
    »Wir können warten.« Ich zuckte mit den Schultern. »Früher oder später werden wir bestimmt auffallen. Jemand wird die Polizei rufen. Und dann?«
    »Machen Sie schon, was er sagt!« mischte sich der Major ein. »Los, Paul!«
    Paul gehorchte. Er verrenkte den Kopf und spähte durch die offene Tür ins Wageninnere, hielt aber stur die Pistole auf meine Magengegend gerichtet.
    »Ich sehe sie nicht. Da ist keine Tasche.«
    »Sie muß runtergerutscht sein«, meinte ich. »Sehen Sie doch genau nach.«
    Er zögerte und steckte dann den Kopf durch die Tür.
    Jetzt! dachte ich. Jetzt oder nie!
    Ich packte seine Hand und riß sie zur Seite. Ein Schuß peitschte, aber die Kugel pfiff harmlos ins Nichts, und im nächsten Augenblick quiekte Paul wie ein Ferkel – offenbar war nicht nur die Pistole, sondern auch Anjas Messer losgegangen. Er ließ die Waffe fallen, ich erwischte sie mit dem Fuß und schickte sie in einem steilen Paß, bei dem ich mir fast die Zehen brach, quer über den Parkplatz. Noch immer quiekend, wich Paul zurück, stolperte gegen den Major und riß ihn zu Boden.
    Im Schritt von Pauls Hose entstand ein langsam größer werdender Blutfleck.
    Entsetzt sah ich Anja an.
    »Ich hab’ ihn doch nur geritzt!« rief sie, erschüttert über ihre eigene Tat, und fuchtelte mit dem Schlachtermesser. »Ich wollte ihn doch nicht verletzen!«
    Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um über das Für und Wider einer spontanen Kastration zu diskutieren. Ich schubste sie in den Trabbi, sprintete auf die andere Seite und zwängte mich auf den Beifahrersitz. Anja ließ den Motor an. Der Major rappelte sich auf, doch da gab Anja bereits Gas, und wir rutschten mit durchdrehenden Reifen an ihm vorbei und Richtung Straße.
    Ich sah mich um.
    Der Major half Paul auf die Beine und schleppte ihn zum Mercedes-Transporter. Als wir die Straße erreichten, rollte der Transporter an und nahm die Verfolgung auf.
    »Schneller!« schrie ich. »Sie sind hinter uns her!«
    Anja gluckste vor Begeisterung und peitschte den frisierten Trabbi-Motor hoch, und plötzlich war ich froh über ihren Kamikaze-Fahrstil. Vielleicht würde sie uns geradewegs gegen den nächsten Baum steuern, aber zumindest würden wir nicht durch die Hand des Majors sterben. Ich klammerte mich ans Armaturenbrett und behielt die Straße hinter uns im Auge.
    Der Verfolgerwagen tauchte schneller auf, als ich erwartet hatte. Die Fahrbahn war nur notdürftig vom Schnee geräumt und stellenweise gefährlich glatt. Kein Problem für die High-Tech-Winterreifen des Mercedes-Transporters, aber die runderneuerten Trabbi-Reifen aus dem Kombinat Fürstenwalde waren dem rutschigen Untergrund eindeutig nicht gewachsen, und den scharfen S-Kurven erst recht nicht.
    Wir schlingerten wie betrunken in die nächste Kurve, um Haaresbreite am Straßengraben

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