Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
Vom Netzwerk:
sich nicht einschüchtern«, hetzte er und trat einen kühnen Schritt näher. »Reißen Sie sich zusammen! Sie sind es doch, der den Finger am Drücker hat! Zeigen Sie diesem Miststück, daß Sie ein Mann sind!«
    »Das wird er nicht mehr lange sein, wenn er auf Sie hört«, versicherte Anja mit blitzenden Augen. »Und Sie bleiben besser, wo Sie sind, Major, oder wir alle erleben eine furchtbare Tragödie.«
    Der Major blieb stehen. Anja nickte zufrieden. Paul schwitzte. Ich auch. Die Pistole war noch immer auf meine Magengrube gerichtet. Was war, wenn er die Nerven verlor? Oder sich spontan dazu entschloß, den Beruf zu wechseln und in den nächstbesten Kastratenchor als Sopranist einzutreten? Dann war ich tot, und wir hatten nichts gewonnen. Ich schluckte und sah mich aus den Augenwinkeln nach Hilfe um, doch die Kurjogger waren in den Tiefen des Waldes verschwunden, und die beiden jungen Männer vom Wäschedienst lehnten an ihrem Wagen, rauchten und blickten gelegentlich zu uns herüber, ohne den Ernst der Lage zu erkennen.
    »Hendriks«, sagte der Major scharf, »bringen Sie Ihre Freundin zur Vernunft! Oder wollen Sie, daß Paul Sie erschießt? Wollen Sie das?«
    »Sagen Sie Paul, daß er die Knarre wegstecken soll«, verlangte ich. »Bei dieser gespannten Lage kann jeden Moment, ein Unglück geschehen!«
    Anja versetzte Paul einen aufmunternden Stups mit dem Messer, doch die Pistole bohrte sich weiter in meine Magengegend.
    »Hören Sie auf damit!« keuchte Paul. »Das bringt doch nichts, das bringt uns doch nicht weiter. Außerdem tut es weh!«
    »Die Waffe weg, Paul!« wiederholte Anja starrsinnig.
    Er schüttelte ebenso starrsinnig den Kopf. »Niemals! Das könnte euch so passen – ich steck die Pistole weg und das verfluchte Messer bleibt, wo es ist. Aber nicht mit mir! Ich bin doch nicht verrückt! – Major, tun Sie endlich was!«
    Der Major fluchte, aber er schien ebensowenig einen Ausweg aus dieser verfahrenen Lage zu sehen wie ich. Vom Hotel drang Stimmengewirr. Ich warf einen kurzen Blick über die Schulter; der nächste Kurlaubertrupp in Jogginganzügen trabte Richtung Wald an uns vorbei. Einige starrten uns neugierig an, trotteten aber weiter.
    Ich dachte daran, um Hilfe zu rufen. Wenn jemand die Polizei alarmierte, waren wir aus dem Schneider – eine bessere Gelegenheit, den wahren Dommörder verhaften zu lassen, würde so schnell nicht kommen. Doch das Risiko war zu groß. Paul war durchaus zuzutrauen, daß er durchdrehte und mich erschoß, Kastratenchor hin, Kastratenchor her.
    Trotzdem mußte etwas geschehen.
    »Hendriks«, stieß der Major hervor, »verdammt, lassen Sie uns verhandeln! Wir werden uns bestimmt einigen. Ich weiß, daß ich Sie in eine scheußliche Lage gebracht habe, aber so erreichen Sie nichts. Sie bringen sich nur noch in größere Schwierigkeiten!«
    »Ach ja? Und was schlagen Sie vor?«
    »Ein Geschäft. Ich biete Ihnen Geld. Viel Geld. Mehr als Sie sich je erträumt haben, genug, um sich ins Ausland abzusetzen und ein neues Leben zu beginnen. Eine Viertelmillion, Hendriks! Geben Sie mir meine Tasche, hören Sie mit Ihrer Herumschnüffelei auf, und Sie bekommen von mir eine Viertelmillion!«
    »Genau«, stimmte Paul sofort zu. »Warum hören Sie nicht auf den Major?«
    Für einen Moment war ich versucht, auf sein Lockangebot einzugehen. Eine Viertelmillion. Nicht schlecht. Aber auch nicht gut, wenn man bedachte, daß mich dann die Polizei bis an mein Lebensende als Mörder jagen würde. Die Tasche des Majors war mein einziger handfester Beweis für meine Unschuld. Wenn ich sie herausrückte, blieb mir nur noch mein vertrauenerweckendes Lächeln, um den Mordverdacht zu zerstreuen, und das war angesichts der Beweislage nicht viel. Außerdem hätte ich eher einer Klapperschlange getraut als diesem mörderischen Stasi-Major. Aber ich war nicht so unklug, ihm meine Gedankengänge zu verraten.
    »Okay«, sagte ich laut, »klingt nach einem überzeugenden Angebot. Und wann bekomme ich die Viertelmillion?«
    Der Major entspannte sich. »Na also, warum nicht gleich so? Es geht doch, wenn man nur will. Das Geld habe ich natürlich nicht dabei, aber Sie bekommen es. Vertrauen Sie mir. Zeigen Sie mir zuerst die Tasche, und dann reden wir weiter.«
    Klar, dachte ich. Natürlich vertraue ich dir.
    »Und ich?« fragte Paul mit hoher Kastratenstimme. »Was wird aus mir? Dieses verfluchte Weibstück hat mich noch immer an den Eiern!«
    »Wir gehen jetzt gemeinsam zum Trabbi«, eröffnete ich

Weitere Kostenlose Bücher