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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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vorbei, wirbelten schmutzigen Schnee und hartgefrorenen Dreck auf und kehrten mit knapper Not auf den verschneiten Asphalt zurück.
    Der Transporter holte auf.
    Weit und breit kein anderes Auto in Sicht, niemand, der uns helfen konnte. Nur wir in unserem winzigen Trabbi gegen Paul und den Major in ihrem bulligen Mercedes. Um uns der winterliche Wald, über uns der bewölkte Himmel, den Anja und ich bald aus der Nähe kennenlernen würden, wenn nicht ein Wunder geschah.
    Ein Krachen, ein Stoß. Sie hatten uns gerammt! Diese Bastarde hatten uns gerammt und wollten uns von der Straße putzen! Der Trabbi schleuderte. Bäume huschten gefährlich nah an uns vorbei. Ich betete wieder, doch es half nichts. Der nächste Rammstoß. Diesmal würde uns keine Ausfahrt, kein Schwerlaster retten wie bei der letzten Jagd über die Autobahn. Diesmal waren wir erledigt.
    »Wir werden sterben!« sagte ich entsetzt. »Oh, Scheiße, wir werden sterben!«
    »Nur wenn das Schicksal es will!« erwiderte Anja und bewahrte uns mit einem kühnen Lenkmanöver vor dem Zusammenstoß mit einer Baumgruppe. »Unsere Liebe ist stärker als der Tod! Sag, daß du mich liebst, und wir werden gerettet! Sag es, Harry, bitte!«
    Ich zögerte. Wie konnte ich sagen, daß ich sie liebte, wenn ich es selbst nicht wußte? Gleichgültig war sie mir jedenfalls nicht – soviel stand nach der Nacht auf der schmalen Couch im Apartment ihrer Kusine fest. Aber genügte das, um das Schicksal zu überzeugen? Andererseits – was hatte ich schon zu verlieren? Höchstens ein vorzeitiges Begräbnis und die Wahl zur bestaussehendsten Leiche des Jahres, und darauf konnte ich mühelos verzichten.
    »Okay«, keuchte ich, »okay, okay, okay! Ich liebe dich, Anja! Hörst du? Ich liebe dich!«
    »Lauter!« rief Anja glücklich. »Lauter, Harry, damit das Schicksal dich auch hört!«
    Also schrie ich es hinaus: »ICH LIEBE DICH, ANJA! ICH LIEBE DICH FÜR IMMER UND EWIG! ICH LIEBE…«
    Es half nichts. Entweder war das Schicksal taub, oder es glaubte mir nicht – der dritte Rammstoß schüttelte uns durch und ließ uns quer über die Straße rutschen. Ich knallte mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe, und irgend etwas Hartes traf mich im Nacken und prallte wie ein Pingpongball ab.
    Ich drehte mich und sah eine der vier Handgranaten des Majors auf dem Rücksitz liegen. Sie mußte aus der Tasche gefallen sein. Ich stierte sie an. Großartig. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Wahrscheinlich würde sie jede Sekunde hochgehen.
    Der Trabbi fing sich wieder, wir schleuderten in die nächste Kurve, und die Handgranate explodierte nicht. Immerhin ein Lichtblick. Der Mercedes fiel zurück, doch hinter der Kurve lag eine schrecklich lange gerade Strecke. Links tiefer Wald, rechts eine steil abfallende Böschung. Wir hatten keine Chance. Sie würden uns einholen und in den Abgrund drängen.
    Es war aus mit uns.
    Ich sah wieder die Handgranate an.
    Vielleicht war es doch noch nicht aus mit uns. Wenn das Schicksal nicht hören wollte, dann wurde es Zeit, daß ich das Schicksal selbst in die Hand nahm.
    Ich schnappte mir die Granate, kurbelte das Seitenfenster hinunter, sah den Mercedes aus der Kurve kommen und zog den Zünder.
    »Gib Gas!« schrie ich und warf die Handgranate. »Gib um Gottes willen Gas!«
    Die Granate hüpfte wie ein Gummiball über die Straße. Der Mercedes brauste direkt auf sie zu.
    Über sie hinweg.
    Und war an ihr vorbei.
    Als sie endlich explodierte.
    Feuer und Donner, Donner und Rauch. Der Transporter wurde wie von einer gewaltigen Faust gepackt und durchgeschüttelt, schleuderte nach rechts, nach links, wieder nach rechts und schoß mit unverminderter Geschwindigkeit über die Böschung, scheinbar schwerelos ins Nichts, schien weiter und immer weiter zu fliegen, bis er sich neigte und mit dem Heck voran in die Tiefe stürzte.
    Einen Atemzug später war er verschwunden.

 
9
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    Es gibt Menschen, die gewöhnen sich an alles – an Kriege, Naturkatastrophen, Steuerbescheide, den ganzen Horror des Erdenlebens. Ist das Grauen erst einmal der Normalzustand, wird selbst die Depression zum Hochgefühl, und wer schon mal länger verheiratet war, der weiß, wovon ich rede.
    Aber ich war keineswegs bereit, mich an die Schrecken der letzten Tage zu gewöhnen. Ich war zweimal fast gestorben, und mir reichte es, auch wenn Anja weiter auf die helfende Hand des Schicksals setzte. So, wie ich die Sache sah, hatte uns das Schicksal im entscheidenden Moment im Stich

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