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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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breiter Krempe, die bei jedem ihrer Schritte auf und ab wippte und die Schneeflocken verscheuchte. Ihr Gesicht lag im Schatten, aber sie strahlte allein durch ihre graziösen Bewegungen so viel Erotik aus, daß sich nicht nur meine gedrückte Stimmung hob.
    Dann betrat die überirdische Erscheinung das Café, lüftete den Hut und enthüllte ein unschuldiges Madonnengesicht mit teleskopgroßer Brille.
    Sprachlos und mit offenem Mund starrte ich sie an.
    »Gefalle ich dir?« fragte Anja naiv und drehte sich so anmutig, als hätte sie mit den C&A-Jeans und der grausigen Öljacke jede Erdenschwere abgelegt. »Ich hab’ dir auch was mitgebracht.«
    Ich war so geblendet von ihrem neuen Outfit, daß ich erst jetzt die große Plastiktasche in ihrer Hand bemerkte.
    »Einen Mantel«, fügte Anja hinzu. »Wegen der Kälte. Und zur Tarnung.«
    Ich spähte in die Tasche. Ein grüner Lodenmantel.
    »Du liebe Güte!« entfuhr es mir. »Bist du wahnsinnig oder was? Hältst du mich für einen bayerischen Gartenzwerg? Du glaubst doch nicht, daß ich so was anziehe! Und wo hast du die ganze Zeit gesteckt? Ich hab’ Todesängste ausgestanden!«
    Sie setzte sich, schlug die Beine übereinander, die in der Lederhose gar nicht mehr nach Babyspeck, sondern nach verführerisch weiblichen Rundungen aussahen, knöpfte den Mantel auf und enthüllte einen nagelneuen Kaschmirpullover und die nächsten Rundungen.
    »Verdammt«, zischte ich, »meinst du, das ist der richtige Zeitpunkt für einen Einkaufsbummel? Machetzky wartet auf uns!«
    »Deshalb hab’ ich doch eingekauft – aus Sicherheitsgründen.«
    »Aus Sicherheitsgründen?« Ich starrte ihre Rundungen an. Es war verwirrend, was ein paar neue Klamotten aus einem Menschen machen konnten. »Du glaubst wirklich, daß du in diesem Aufzug sicherer bist? Also – vor mir bestimmt nicht!«
    Anja lachte glucksend. »Warte erst mal ab, wie’s unter dem Pullover und der Hose aussieht. Du wirst begeistert sein! Aber das nur nebenbei. Ich hab’ die Sachen nur gekauft, damit man uns nicht sofort erkennt, wenn wir zu diesem Machetzky gehen. Vielleicht lungert der Major vor dem Haus herum! Du ziehst den Lodenmantel an, bindest dir die Blindenarmbinde um, setzt die schwarze Brille auf, und schon bist du ein völlig neuer Mensch!«
    Sie blinzelte treuherzig.
    »Genau wie ich, Harry.«
    Ich glaubte ihr kein Wort. Von wegen Sicherheitsgründe – hier lag ein klarer Fall von Konsumrausch vor. Andererseits hatte sie recht. Ich fürchtete immer noch die Wiederkehr des zähen Paul, und eine Maskerade konnte nicht schaden.
    Ein Blinder, der mit einer scharfen Handgranate herumjonglierte – so hatte ich mir Onkel Makarow schon immer vorgestellt.
    Ich ließ die Rechnung kommen und stand auf.
    »Du zahlst«, sagte ich zu Anja. »Vorausgesetzt, von den fünfzehntausend Mark ist noch was übrig.«
    Sie warf einen Blick auf die Rechnung. »Oje«, seufzte sie. »Jetzt nicht mehr.«
     
    Machetzky wohnte in Schwabing, in einem Penthouse hoch oben über der Leopoldstraße, nur einen Steinwurf vom Englischen Garten entfernt. Wir parkten unseren Trabbi zwei Häuserblocks weiter und gingen aus Sicherheitsgründen den Rest des Weges zu Fuß – ich in diesem grauenhaften Lodenmantel, der mich so alt machte, wie ich vermutlich nie werden würde, mit Blindenarmbinde, Blindenbrille und Blindenstock und die Taschen voller Handgranaten, ein Gruftie aus dem tiefsten aller Gräber.
    Anja spielte die Blindenführerin und zog die gierigen Blicke aller männlichen Passanten auf sich, was mich erheblich störte. Noch mehr Kopfzerbrechen bereitete mir ihre mysteriöse Bemerkung über die Dinge, die sie unter all dem Kaschmir und Leder trug.
    Sobald wir mit Machetzky gesprochen hatten, würde ich mich darum kümmern müssen. Die Neugierde brachte mich fast um, aber sie war derzeit auch die einzige Gefahr für mein Leben: Wir spazierten eine Weile vor Machetzkys Haus auf und ab und fanden keine Spur von Paul und dem Major.
    Entweder lagen sie eingegipst in der Schwarzwaldklinik, oder sie hatten die Jagd mangels eines funktionierenden Autos vorübergehend eingestellt. Oder die Polizei hatte sie erwischt und wegen Fliegens ohne Pilotenschein verhaftet.
    Ich klingelte.
    »Wer ist da?« drang es krächzend aus der Gegensprechanlage.
    »Der freundliche Onkel Makarow«, sagte ich. »Machen Sie auf, Machetzky. Es ist kalt, und wir haben zu reden.«
    Eine halbe Minute später waren wir oben in seinem luxuriösen Penthouse. Machetzky sah uns

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