Tod im Dünengras
nickte. »Den Barolo 2004! Die Bestellung ist heute Morgen
rausgegangen.«
»Hast du mit Papa darüber gesprochen?«
»Warum?«
»Ich hätte gerne zuerst seine Meinung eingeholt.«
Ehe Vera antworten konnte, mischte sich seine Mutter ein. »Warum
muss dein Vater zu allem seinen Senf dazugeben?«
Arne Ingwersen sah sie an wie ein kleiner Junge, der unbedingt das
rote Gummibärchen und nicht das grüne will. »Ich verlasse mich nun mal gern auf
seinen Rat.«
»Die Muschel II gehört
dir«, entgegnete seine Mutter mit scharfer Stimme. »Harms Rat ist in der
Muschel I gefragt. Du musst deine
Entscheidungen endlich allein treffen.«
Ohne ein weiteres Wort drehte Arne Ingwersen sich um und ging ins
Restaurant zurück. Vera warf ihrer Schwiegermutter einen undefinierbaren Blick
zu. Carlotta hatte das Gefühl, dass die eine etwas ausgesprochen hatte, was die
andere sich versagte und deshalb nicht hören wollte.
Erik betrat die Polizeistation Westerland mit der Zeitung
in der Hand. »Moin!«, sagte er, ohne aufzusehen.
Eine Antwort bekam er nicht, denn sowohl Obermeister Rudi Engdahl
als auch Polizeimeister Enno Mierendorf telefonierten und nickten ihm nur
flüchtig zu.
Erik las den Artikel zu Ende, während er seine Jacke über den Haken
neben der Tür hängte und die Tasche auf den Stuhl stellte, um ihr Pfeife und
Tabak zu entnehmen. Er rauchte nie in seinem Büro, hatte seine Pfeife aber
trotzdem gern griffbereit.
Als er sich an seinem
Schreibtisch niederlieÃ, legte er die Zeitung zufrieden beiseite. Das
Inselblatt hatte berichtet, was er der Redaktion gestern Abend verraten hatte:
Ein Sylter Gastwirt war am Strand überfallen und ausgeraubt worden. Wenn sich
Menno Koopmann, der Chefredakteur, bis heute Mittag nicht gemeldet hatte, dann
war diese Meldung für ihn nicht bedeutsamer als der Wetterbericht. Auch bei den
Meteorologen würde er heute nicht anrufen, um nachzufragen, ob hinter dem
angekündigten Tief etwas steckte, was seinen Lesern vorenthalten werden sollte.
Auf Eriks Schreibtisch lag der Bericht der Spurensicherung. Die
Schuhspuren von fünf Menschen hatte Kommissar Vetterich mit seinen Leuten
gefunden. Die des Opfers natürlich und die von Erik und Felix, auÃerdem aber
noch Spuren von zwei weiteren Personen. Beide hatten Turnschuhe der Marke
Adidas in den GröÃen vierundvierzig beziehungsweise fünfundvierzig getragen.
Deren Sohlenrelief war so auffällig , dass die Schuhmodelle leicht zu ermitteln
gewesen waren.
Erik lieà den Bericht sinken. Immerhin wussten sie nun, dass Henner
Jesse von zwei Personen, von zwei Männern vermutlich, niedergeschlagen worden
war. »Und was bringt uns das?«, murmelte Erik. »Nichts!«
Die Spur der beiden Schuhpaare war nicht weit zu verfolgen gewesen.
Ihre Besitzer hatten den Holzsteg betreten, der an der Kliffkante
entlangführte, so viel stand fest. Aber da nach der Tat viele Stunden vergangen
waren, hatten sich die Spuren schon bald unter den Verwehungen verloren.
Bis gegen zehn Uhr durchforstete Erik das Intranet der Polizei nach
Informationen über mafiöse Umtriebe in Deutschland, dann lehnte er sich zurück
und starrte an die Decke. Plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, dass
Sören recht hatte. Im internen Informationsnetz der Polizei fand sich kein
einziger Hinweis darauf, dass ausgerechnet auf Sylt mit der Mafia gerechnet
werden musste. Klar, sie arbeitete flächendeckend, aber es gab auch in
Deutschland Landstriche, die weitgehend verschont blieben. Erik hätte bis zu
diesem Tag seine Hand dafür ins Feuer gelegt, das Sylt dazugehörte. Vielleicht
hatte Frau Jesse doch recht, und das Inselblatt berichtete genau das, was sich
zugetragen hatte?
Als Sören gegen elf den Kopf zur Tür hereinsteckte, bekam er von
seinem Chef zu hören, dass er die These von der Mafia verworfen habe. Gegen
zwölf jedoch sah alles wieder ganz anders aus. Da nämlich meldete Rudi Engdahl
einen Besucher: »Harm Ingwersen von der Muschel I in Westerland.«
Erik nickte erfreut, stand auf und reichte Harm Ingwersen die Hand.
»Ich glaube, es ist das erste Mal, dass Sie mich besuchen!« Er wies auf den
Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. »Zechprellerei? Oder Schlimmeres?«
»Schlimmeres«, antwortete Harm Ingwersen ernst.
Erik erschrak. Harm Ingwersen sah sehr besorgt aus, und allein die
Tatsache, dass er sich selbst
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