Tod im Dünengras
herbemühte und keinen seiner Angestellten
schickte, zeigte an, dass sein Besuch einen auÃergewöhnlichen Grund haben
musste.
Ingwersen senior war ein gepflegter, gut aussehender Mann von Mitte
fünfzig. Er stammte aus Norden, lebte aber seit knapp dreiÃig Jahren auf Sylt,
seitdem er geheiratet und das Restaurant seines Schwiegervaters in Westerland
übernommen hatte. Seiner Frau hatte er damit die Last von den Schultern
genommen, selbst in den elterlichen Betrieb einsteigen zu müssen, und ihr Vater
war froh gewesen, dass mit dem richtigen Schwiegersohn sein Restaurant erhalten
bleiben würde. Für seinen Sohn Arne, der seinem Vater nacheiferte, hatte Harm
Ingwersen vor Kurzem ein Restaurant in Keitum eröffnet. Aus dem Stammhaus, der
Muschel in Westerland, wurde die Muschel I,
Arnes Restaurant bekam den Namen Muschel II.
Die Ingwersens gehörten zu den Sylter Familien, die das Gesicht der
Insel prägten. Harm Ingwersen spendete stets groÃzügig, wo Not am Mann war, und
legte sich auch mit Politikern und Investoren an, wenn er um das Wohl seiner
Insel fürchtete.
»Ich möchte Anzeige erstatten«, sagte er mit fester Stimme. »Und
zwar gegen einen Schutzgelderpresser.«
Erik starrte ihn mit offenem Mund an. »Schutzgeld? Wollen Sie damit
sagen â¦Â« Also doch! Sören hatte recht
gehabt!
»Die Mafia erpresst mich. Und sicherlich nicht nur mich. Vor ein
paar Tagen ist ein junger Italiener bei mir erschienen.«
»Hat er sich selbst als Mitglied der Mafia bezeichnet?«
Ingwersen nickte. »Ich habe ihn erst mal ausgelacht. Da kann ja
jeder kommen und behaupten, er wäre von der Mafia.« Er sah auf seine perfekt
manikürten Hände. »Aber ich gebe auch zu, dass ich eingeschüchtert war. Ich
hätte gleich zu Ihnen kommen müssen. Aber ⦠ich hatte Angst.«
Erik nickte verständnisvoll. »Und warum jetzt?«
»Der Kerl hat gesagt, ich würde schon sehen, wohin das führt, wenn
ich ihm nicht glaube. Es gäbe einen Gastwirt, der auch nicht einsehen wolle,
dass man es ernst meine. Ich könne demnächst in der Zeitung lesen, was mit dem
passiert.«
»Henner Jesse!«
»Ich habe gestern Abend gehört, dass er schwer verletzt in die
Nordseeklinik eingeliefert wurde. Und heute Morgen habe ich in der Zeitung
gelesen, was geschehen ist.«
»Dass er überfallen und ausgeraubt wurde«, ergänzte Erik.
Ingwersen warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Aber das stimmt nicht.
Oder?«
Erik zuckte die Achseln. »Seine Frau ist davon überzeugt.«
»Sie hat Angst, das ist verständlich.«
»Und Sie? Sie haben keine Angst mehr?«
Harm Ingwersen hob die Schultern, als könne er sich zu einem Ja
nicht durchringen, und lieà sie fallen, weil ihm das Nein genauso schwer über
die Lippen kam.
»Sie wissen, welches Risiko Sie eingehen, wenn es sich bestätigen
sollte, dass wir es mit der Mafia zu tun haben?«
Harm presste die Lippen zusammen, dann entgegnete er: »Ich bin
bereit, es einzugehen.« Er erhob sich und trat ans Fenster. Anscheinend war es
um seinen Mut doch nicht so gut bestellt, wie er Erik weismachen wollte. »Sie
haben mir heute Nacht die Fenster der Lagerräume eingeschlagen«, sagte er nach
einer Weile.
»Woher wissen Sie, dass das die Leute waren, die Sie erpressen?«
»Ich bekam heute Morgen einen Anruf. Demnächst wären die vorderen
Fenster dran. Ich könne mir ja ausrechnen, wann ich selbst dran sei, wenn ich
nicht zahlen will.« Plötzlich fuhr er herum, Verzweiflung stand in seinem
Gesicht. »Wo soll das hinführen? Ich lasse mich doch nicht von solchen Halunken
erpressen! Die kriegen mich nicht klein! Mich nicht! Ich werde auf keinen Fall
zahlen!«
Erik erhob sich und trat zu ihm. So sehr ihn Ingwersens Haltung
beeindruckte, ihm war nicht klar, ob der Gastronom wirklich wusste, worauf er
sich einlieÃ. »Ich muss jetzt die Anzeige aufnehmen.«
Harm Ingwersen nickte. »Deswegen bin ich hier. Lieber lasse ich mich
von denen abknallen, als den Rest meines Lebens in Angst zu verbringen.«
»Das ist sehr mutig von Ihnen, Herr Ingwersen.« Erik öffnete die Tür
und rief nach Sören. »Sie können mir sicherlich eine Personenbeschreibung des
Erpressers geben?«
Harm Ingwersen nickte. »Ich habe ihn mir genau angesehen.«
»Hervorragend!« Erik hatte sich noch nie so hilflos
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