Tod im Dünengras
denn«, ergänzte die Staatsanwältin gedehnt, »es handelt sich
doch um einen kleinen Ganoven, der nur den Mafioso spielt und keinerlei Kontakte
zur Mafia hat.«
Erik hätte nichts lieber getan, als diese Möglichkeit zu vertiefen
und Wort für Wort wahrscheinlicher zu machen. Aber er konnte nicht mehr daran
glauben und ging daher nicht auf die Bemerkung ein. »Wir werden in jedem Fall
nach ihm Ausschau halten.«
»Wenn Sie ihn haben, schicke ich das MEK. Sobald wir den Hintergrund des Mannes kennen, kommt das SEK und nimmt ihn und seine Helfershelfer
hoch.«
Die Staatsanwältin verabschiedete sich mit der dringlichen
Ermahnung, nichts, aber auch gar nichts an die groÃe Glocke zu hängen, was die
Bevölkerung verunsichern könnte.
Nachdem Erik den Hörer aufgelegt hatte, blieb es eine Weile still im
Raum. Sören kippelte trotz der schlechten Erfahrung, die er am Morgen gemacht
hatte, mit seinem Stuhl hin und her. Seine Schulterprellung war schon
vergessen. »Sie haben der Staatsanwältin nichts von den drei Doppelkreisen
erzählt«, stellte er fest.
Erik erwiderte seinen Blick nicht. »Soll ich ihr verraten, dass wir
neben Henner Jesse keine gefunden haben? Weil ich nicht darauf geachtet habe?
Und die Sanitäter, als sie eintrafen, erst recht nicht? Was denken Sie, was sie
mit mir macht, wenn sie glaubt, dass drei Doppelkreise zertrampelt wurden, weil
keiner sie zur Kenntnis genommen hat?«
»Aber das ist doch verständlich! Es ging nur darum, Jesses Leben zu
retten! Sie konnten nichts von dem Hintergrund des Verbrechens ahnen.«
»Trotzdem!« Erik starrte in die Stille, die von dem rhythmischen
Klopfen des Stuhlbeins zerstückelt wurde, mit dem Sören seine Gedanken unterstützte.
»Wie stellen Sie sich eigentlich die Suche nach diesem Mafioso
vor?«, fragte Sören. »Wir können niemanden um Hilfe bitten.«
»Nur die Kollegen von der Verkehrssicherheit. Die sollen in Zukunft
nach unserem Erpresser Ausschau halten.«
»Und wenn sie den Kerl finden?«
»Dann müssen sie uns verständigen, damit wir ihn beschatten können.
Wir müssen wissen, wo er wohnt und mit wem er Kontakt hat. AnschlieÃend kann
das MEK ihn observieren.«
Sören fing wieder an zu kippeln. »Wie wärâs, wenn wir noch mal mit
Frau Jesse reden? Vielleicht ist sie nach dem Tod ihres Mannes bereit, mehr zu
verraten.«
»Ich glaube es ja nicht, aber einen Versuch ist es wert.«
Sören erhob sich. »Wir könnten Enno Mierendorf zu ihr schicken. Der
hat mir vor einer halben Stunde erzählt, dass er die Jesses privat ganz gut
kennt. Er war mal mit ihnen zusammen in einem Kegelklub.«
»Also gut! Vielleicht ist die Jesse aufgeschlossener, wenn ein
Bekannter vor ihr sitzt.«
Sören ging ins Revierzimmer, um Enno Mierendorf zu Frau Jesse zu
schicken, Erik stand auf und trat ans Fenster. Wenn er den Kopf nach links
neigte und einen langen Hals machte, konnte er bis zum Bahnhofsgebäude sehen.
Die grünen Riesen, die auf dem Vorplatz standen, wurden gerade von einigen
Kindern bestaunt, andere schleppten ihre Koffer vorbei, ohne die Skulpturen
eines Blickes zu würdigen. Als sie vor Jahren aufgestellt worden waren, hatten
sie für Wirbel und viele unterschiedliche Meinungen gesorgt. Mittlerweile hatte
man sich an sie gewöhnt.
Harm Ingwersen war es gewesen, der den Gegnern der grünen Riesen den
Wind aus den Segeln genommen hatte. Im Inselblatt war seine Meinung zu lesen
gewesen, nämlich dass genau die richtigen Skulpturen ausgewählt worden seien,
die jedem Reisenden auf der Stelle den richtigen Eindruck von Westerland
vermittelten: zu groÃ, zu schräg, zu hässlich. Am Ende hatten alle Sylter
einsehen müssen, dass Harm Ingwersen recht hatte. Auch wer Sylt liebte und
nirgendwo anders zu Hause sein wollte, durfte ruhig zugeben, dass Westerland
nicht zu den Schönheiten der Insel gehörte.
Erik wandte sich vom Fenster ab und seufzte. Ausgerechnet Harm
Ingwersen! Ein Mann, der immer offen seine Meinung gesagt hatte, der sich mutig
allen Schwierigkeiten entgegenstellte und für die Wahrheit focht, auch wenn sie
unbequem war â ausgerechnet dieser Mann war nun für seine Zivilcourage bestraft
worden. In Erik wuchs der Zorn über diese Ungerechtigkeit. Er musste alles tun,
um den Mord an Harm Ingwersens Frau so schnell wie möglich aufzuklären. Und er
musste dem Mann
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