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Tod im Dünengras

Tod im Dünengras

Titel: Tod im Dünengras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Carlotta schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Scandalo!«
    Da drang Veras Stimme erneut in den Garten. »Kenne ich sie? Kann es
sein, dass sie bei uns arbeitet? Gib’s zu!«
    Â»Jetzt reicht’s aber!«, brüllte Arne Ingwersen unvermittelt los.
»Deine Eifersucht ist wirklich unerträglich!«
    Vera stand ihm in nichts nach. »Dann geh doch zu Papi und heul dich
bei ihm aus!«
    Eine Tür fiel donnernd ins Schloss, Arne Ingwersen war vor den
Vorwürfen seiner Frau geflüchtet. Mamma Carlotta machte eine Bewegung am
Fenster aus und zog sich hastig zurück. Von Vera wollte sie auf keinen Fall im
Garten entdeckt werden. Wie sollte sie ihre Anwesenheit hier erklären?
    Schritt für Schritt wich sie zurück, darauf bedacht, kein
Geräusch zu verursachen. Erst als sie sich in Sicherheit wähnte, drehte sie
sich um und wollte loslaufen … doch gerade in diesem Augenblick startete
jemand hinter einer Hecke in der gleichen Absicht in dieselbe Richtung. Einer,
der ungesehen entwischen wollte. Der Zusammenprall ließ sich nur vermeiden,
weil Carlotta ihre neuen Sneakers mit den rutschfesten Sohlen trug – ganz im
Gegenteil zu ihrem Unfallgegner Willem Jäger, der Schuhe mit glatten
Ledersohlen an den Füßen hatte. Er schlidderte beim Versuch, die Kollision zu
vermeiden, in Mamma Carlottas Seite. Dass er versuchte, sich an etwas
festzuklammern, was ihm Halt bot, durfte man ihm nicht verübeln. Und da Mamma
Carlotta über Willems sexuelle Orientierung informiert war, unterstellte sie
ihm keinen Annäherungsversuch. Sie fing ihn einfach auf, sorgte dafür, dass er
seine Nase aus ihrem Dekolleté nahm, entfernte seine Hände von dem, was ihn
gehalten hatte, und war froh, dass sie kein leichtes Sommerkleid, sondern eine
dicke, wetterfeste Jacke trug.
    Â»Signore! Sie haben es aber eilig!«
    Willem Jäger ordnete mit bebenden Fingern seine Frisur. »Ich wollte
eigentlich nur kondolieren. Aber dann wurde mir plötzlich schwindelig … Es ist ja so schrecklich, was mit Arnes
Mutter geschehen ist!«
    Â»Molto terribile!«, bestätigte Mamma Carlotta und hätte sich gern in
Einzelheiten über all das Schreckliche ergangen, wenn sie nicht vollauf damit
beschäftigt gewesen wäre, Willem Jägers attraktives Gesicht zu bestaunen, das
sich vorsichtig von ihr entfernte. Nie zuvor war ihr ein Mann begegnet, der
seine Wimpern tuschte und die Wangen puderte.
    Â»Plötzlich wurde mir regelrecht übel«, haspelte Willem Jäger weiter,
»und ich dachte, es ist besser, erst mal ein wenig Luft zu schnappen. Beim
Gespräch über diesen entsetzlichen Mord wäre es womöglich noch schlimmer
geworden. Weiß der Himmel, was sich dann in meinem Magen-Darm-Trakt abgespielt
hätte. Und außerdem habe ich ja so nah am Wasser gebaut …« Willem Jäger entfernte sich, während er weiterredete, Schritt
für Schritt und brachte schließlich eine letzte Erklärung für seine Anwesenheit
vor, die nicht besser war als alle vorangegangenen: »Inmitten der Natur fällt
es leichter, mit schweren Schicksalsschlägen fertig zu werden.« Dann drehte er
sich um und verschwand.
    Kaum war sie allein, fiel Mamma Carlotta wieder ein, dass sie nicht
in diesem Garten angetroffen werden wollte. Also folgte sie Willem Jäger eilig.
Der hatte es anscheinend aufgegeben, den Ingwersens zu kondolieren, denn er
lief am Eingang der Muschel II vorbei
und ging mit großen Schritten die Straße hinunter.
    Nachdenklich blickte sie ihm nach. Was hatte Willem Jäger wohl
wirklich im Garten der Muschel II
gewollt? Mamma Carlotta beschloss, sich eine Tasse Tee in der Keitumer Teestube
zu gönnen, die ihr Frau Kemmertöns neulich sehr ans Herz gelegt hatte, und über
das Geschehene nachzudenken. Dass Willem Jäger Trost in der Natur gesucht und
auf die Erholung seines Magen-Darm-Traktes gehofft hatte, wollte sie nicht
glauben. Warum also diese Rechtfertigungen?
    Schwer hing der Himmel über dem Meer. Es war von einem dunklen
Grau, die Gischt auf den Wellen das einzig Helle an diesem frühen Morgen. Sogar
der Strand war finster. Oder kam es ihm nur so vor, weil er den Blick nicht von
der Blutlache nehmen konnte, die sich um den Kopf des Opfers ausgebreitet und
den Sand schwarz gefärbt hatte? Die Scheinwerfer, die die Spurensicherung
aufgestellt hatte, waren so grell, dass alles andere umso finsterer

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