Tod im Dünengras
»Oder
vielmehr ⦠zwei!«
Wieder blieb Erik abrupt stehen. »Sie meinen Harm Ingwersen?«
Sören nickte. »Und seinen Sohn. Beide hätten Grund, sich zu rächen.«
Erik schüttelte so langsam den Kopf, als wäre er eigentlich zu
schwer dafür. »Harm Ingwersen ist kein Mörder«, sagte er dann. »Er ist ein
grundanständiger Mensch. Das hat er doch bewiesen.«
»Und sein Sohn?«
»Der ist viel zu schwach für einen Mord. AuÃerdem ⦠wie sollte es einem der beiden gelungen
sein, den Mafioso nachts an den Strand zur Buhne 16 zu locken?«
Sören sah seinen Chef mit offenem Mund an. »Noch dazu ohne seine
Bodyguards!« Er seufzte tief auf. »Nein, das können wir vergessen.«
Die Vorspeise war fertig und musste nur noch eine Weile
durchkühlen. Zufrieden schob Mamma Carlotta die Fischpastete in den
Kühlschrank, dann betrachtete sie den Ort ihres Wirkens mit dem angenehmen
Gefühl, gut vorbereitet zu sein. Für die Pasta alla rucola hatte sie die
Salatblättchen schon verlesen und gewaschen, für das Hauptgericht das
Pouletfleisch zerschnitten und die Sardellenfilets zerkleinert, und sogar der Ricottapudding
stand bereits im Wasserbad. Es war alles getan, damit ihr armer Schwiegersohn,
der in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett geholt worden war, mit einem guten
Mittagessen entschädigt wurde. Einen Cappuccino in Käptens Kajüte hatte sie
sich redlich verdient.
Sie schlüpfte in die winddichte Jacke, die eigentlich Erik gehörte,
die er ihr aber bei jedem ihrer Besuche zur Verfügung stellte, griff nach dem
Einkaufsbeutel und verlieà das Haus. Während sie in Richtung WesterlandstraÃe
ging, atmete sie die kalte, klare Luft ein. An der Einmündung wollte sie sich
nach links wenden, blieb jedoch wie angewurzelt stehen. Ein dunkler Mercedes,
der sich anscheinend in der Fahrtrichtung geirrt hatte, versuchte rückwärts in
den Süder Wung zu setzen, um dann zu wenden. Das schien dem Fahrer eines alten,
verbeulten Lieferwagens gar nicht zu gefallen. Er hatte das Manöver wohl zu
spät durchschaut und wurde zum scharfen Bremsen genötigt. Wütend riss er die
Tür auf und brüllte ein paar Beschimpfungen über die WesterlandstraÃe:
»Fischkopp! Touristenpack!« Dann sah er, dass seine Rüpelhaftigkeit für helle
Empörung gesorgt und damit ihr Ziel erreicht hatte, und gab wieder Gas. Während
der Fahrer des dunklen Mercedes noch unter Schock stand, entfernte sich der
Lieferwagen kreischend.
Kopfschüttelnd sah Mamma Carlotta dem alten Vehikel hinterher, das
Richtung Dorfteich ratterte. Es war rostrot, hier und da mit brauner Farbe
ausgebessert worden und hatte einen grünen und zwei ockergelbe Kotflügel. Die
seitliche Beschriftung bestand nur noch aus wenigen Buchstaben: TENS KAJÃ! Nach der Hauptsaison hatte
Tove sich eigentlich ein neues Auto anschaffen oder zumindest seinen alten
Lieferwagen neu lackieren lassen wollen. Aber vermutlich musste er aufgrund der
neuen finanziellen Belastungen, über die er nicht einmal laut schimpfen konnte,
diese Pläne auf Eis legen.
Mamma Carlotta zögerte, dann bog sie rechts in die WesterlandstraÃe
ein. Den Weg zu Käptens Kajüte konnte sie sich sparen. Anscheinend war dort
noch geschlossen, und da in Toves Laune mal wieder Sturmflut herrschte, würde
es dort auch nicht besonders gemütlich werden. Da war es wohl besser, ihm heute
aus dem Weg zu gehen.
Der Bäcker, bei dem Carlotta das Brot kaufen wollte, das zur
Fischpastete gereicht werden sollte, hatte sich während der Hauptsaison den
Beinamen »Steh-Café« gegeben und in seinem Verkaufsraum drei Stehtische
aufgestellt, wo er Getränke ausschenkte und Kuchen oder belegte Brötchen
servierte. Also würde sie ausnahmsweise dort ihren Cappuccino zu sich nehmen und
sich vom Bäcker erzählen lassen, wie es seiner Schwester in der Türkei ging, ob
sie dort glücklich war oder oft Heimweh hatte. Für Unterhaltung würde also
gesorgt sein.
Gegenüber von der Touristeninformation gab es eine Boutique.
Carlotta hatte schon einige Male die Auslagen bewundert, sich jedoch jedes Mal
zu der Ansicht durchgerungen, dass das Flugticket genug Geld verschlungen habe
und weitere Ausgaben nicht zu verantworten seien. Dass sie trotzdem die
Boutique ansteuerte, lag daran, dass eine junge Frau davor stand, die Mamma
Carlotta bekannt vorkam: eine
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