Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
Werte, die es zu erhalten lohnte, dessen war er sich bewußt. Trotzdem waren menschliche Gesellschaften stets im Wandel begriffen und man mußte sich darauf einstellen, sonst verlor man den Anschluß. Und genau diesen Anschluß hatten Angie und Hans längst verloren. Gut, sie hatten es seit der Beinamputation von Hans nicht immer leicht gehabt, aber sie verkrochen sich auch, gingen nicht aus, auch früher schon nicht. Ihre Wohnung war für Herrn Schweitzer wie eine möblierte Gruft. Der Röhrende Hirsch über dem Sofa blickt ihn traurig an.
„Magst du was trinken?“
„Nein danke, hab gerade bei Maria einen Tee getrunken.“
Zum Glück erschien Hans Hagedorn kurz darauf. Ohne irgendwelche Rückfragen bekam Herr Schweitzer die Abhöranlage erklärt. Was auch immer man über seinen Schwager sagen mochte, nachtragend war er nicht. Immerhin weigerte sich Herr Schweitzer seit fast einem Jahr, für ihn Seitensprünge von Ehepartnern zu erkunden. Der letzte Auftrag, sich sporadisch wiederholende Pflanzendiebstähle aus einem Villengarten, lag bereits zwei Monate zurück. Die Diebstähle hatten von selbst aufgehört.
Er dankte seinem Schöpfer, als die beklemmende Atmosphäre hinter ihm lag und er wieder frei atmen konnte. Gegenüber spannte sich der Eiserne Steg über den Main. 120.000 Gulden hatte er einst gekostet. Vorgestreckt von Bürgern, weil Frankfurt mal wieder pleite gewesen war. Es gibt Dinge, die ändern sich nie, dachte er, und nahm den Weg über die Schifferstraße. In einem Telefonladen, die momentan wie Pilze aus dem Boden sprossen, kaufte er sich ein Handy.
Die Nacht brach an. Pünktlich zur Öffnungszeit war Herr Schweitzer im Weinfaß, um das Mikrophon zu installieren. Er wählte dafür einen Kerzenhalter, dessen Unterseite hohl war. Das Tonbandgerät stellte er auf die Spüle, so daß es vom oberen Teil der Theke vor Blicken geschützt war. Beim Gläserspülen konnte es von Bertha unauffällig in Betrieb genommen werden. Dann überzeugte er sich von der Funktionstüchtigkeit. Wie alle anderen Gebrauchsgegenstände von Hans Hagedorn arbeitete es einwandfrei.
„So, Bertha, jetzt paß auf, der rote Knopf hier ist zum Aufnehmen. Mit der rechten Taste schaltest du aus. Hast du das kapiert?“
„Wie soll ich das net kapiert haben? Du bist der beste Erklärer, den wo’s gibt.“
Herr Schweitzer hinterließ noch seine neue Handynummer. „Ruf an, wenn sich was tut.“
„Geritzt, Sherlock.“
Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, Bertha nehme alles auf die leichte Schulter. Insgeheim bewunderte er sie dafür.
Dann ging er zu Maria, um sich sein neues Handy erklären zu lassen. Mit Gebrauchsanweisungen stand er seit alters her auf Kriegsfuß. Sein Daumen war zu fleischig für die winzigen Tasten, mit dem Zeigefinger ging es besser. Die wichtigsten Telefonnummern waren gespeichert. Das hatte Maria übernommen. Das SMS-Verschicken wollte er zu einem späteren Zeitpunkt erlernen, Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Selbst zum Niederbrennen hatten vierundzwanzig Stunden nicht ausgereicht.
Zum Abendessen hatte es einen kerngesunden bunten Salat gegeben. Vielleicht wurden auf diese Weise über Nacht ein paar Pfunde eliminiert, so daß er morgen im Sportstudio eine nicht allzu klägliche Figur abgab. Jetzt lag Herr Schweitzer auf dem Sofa und las Die Detektivin von Nikola Hahn, während Maria die Skizze verfeinerte, nach der sie den Carrara-Marmor in einen abstrakten flötenspielenden Engel verwandeln wollte.
Sein Magen knurrte im Takt mit der in Frankfurt uraufgeführten Camina Burana. Maria arbeitete gerne bei klassischer Musik.
Zweiundzwanzig Uhr vierunddreißig klingelte erstmals sein neues Handy. Es war Bertha. Die Wassertrinker seien da.
Eine Viertelstunde später ließ sich Herr Schweitzer vom Taxifahrer ein paar Häuser vom Weinfaß entfernt absetzen. Ein leichter Wind strich durch das Geäst, aber es regnete nicht. Er war in seinem Element. Aus einem Papierkorb fischte er eine leere Bierflasche und setzte sich auf eine Bank. Seine Tarnung als trauriger Trinker, der nicht heim zur Alten wollte, war perfekt. Die Wassertrinker konnte er in der schummrigen Innenraumbeleuchtung des Weinfasses zwar nicht erkennen, aber der Eingangsbereich lag ideal in seinem Blickfeld. Er richtete sich auf eine lange Wartezeit ein, wie er es schon oft gemacht hatte. Diesmal ging es aber nicht um gehörnte Ehemänner, sondern um etwas anderes. Angst hatte er keine. Die würde sich später einstellen. Er
Weitere Kostenlose Bücher