Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
Komm, laß uns nach oben gehen.“
Die Tür fiel ins Schloß, Schritte entfernten sich. Herr Schweitzer konnte sich ob der gerade überstandenen Todesgefahr kaum bewegen. Als erstes sah er zu, daß sein Kreislauf sich wieder im Kreis bewegte, im Moment lief er nämlich ziemlich eckig. Dazu benutzte er eine ausgebuffte Atemtechnik. Alle zehn Sekunden pumpte er Luft in die Lungen, bis er sich beruhigt hatte. Als dies geschafft war, öffnete er die Augen und rollte sich auf den Rücken. Als Opfergabe schwebte ihm eine Eintracht-Dauerkarte für die nächste Saison vor, falls er je wieder seine Maria in die Arme schliessen sollte. Herr Schweitzer empfand das nicht als zu knausrig, bei dem Schrott, den die zur Zeit zusammenkickten. Eine Wallfahrt auf Knien rutschend von Sachsenhausen nach Altöttings Heiliger Kapelle, begleitet von mörderischen Peitschenhieben wäre mit Sicherheit der bequemere Weg gewesen. Außerdem wollte er hernach mehr Zeit mit Maria verbringen. Das Leben ist doch verdammt kurz, stellte er mit einem in der Tiefe geborenen Seufzer fest.
Mühsam schleppte sich der Mond auf seiner Umlaufbahn dahin. Man ging schweren Zeiten entgegen. Die Banalitäten des Alltags waren von der Realität beiseite gedrängt worden. Die brüchige Fassade aus Abgeklärtheit zeigte erste Risse. Maria, René und Ferdinand S. fuhren einem Ziel entgegen, von dem sie nicht annahmen, daß es ihre Geschichte zum Guten wendete.
„Hier ist es“, erklärte Ferdinand S., dessen Klamotten etwas aus der Zeit wirkten, und deutete auf die schmale Gasse rechts von der Sparkasse, in die er Herrn Schweitzer vor ein paar Stunden hatte hineingehen sehen.
„Okay, dann wollen wir mal. Ferdi, du bleibst hier. Falls wir auch im schwarzen Loch verschwinden, kannst du ja ein Buch drüber schreiben“, witzelte René, doch war ihm deutlich anzumerken, daß auch seine Nerven wie Drahtseile gespannt waren. „Und“, fügte er hinzu, „ruf gleich mal im Weinfaß an, daß die Bescheid wissen.“
Wie ein Liebespaar schlenderten die beiden erst einen halben Kilometer flußab, dann dieselbe Strecke mainaufwärts, ohne etwas Verdächtiges zu bemerken. Da etliche Fechenheimer den lauen Abend ebenfalls zu einem Spaziergang nutzten, fielen sie trotz der späten Stunde nicht auf. Dabei kamen sie auch nichtsahnend an dem Haus vorbei, in dem Herr Schweitzer eingekerkert war.
„Ich glaube, wir sollten Simon doch mal anrufen. Das Ganze wird immer unheimlicher.“
Abrupt blieb René stehen. „Ich glaube, du hast recht. Schlimmer kann’s auch nicht mehr kommen.“
Sie begaben sich unter eine Laterne und Maria wählte. Umsonst. Sie sprach eine Nachricht auf die Mailbox, wohlwissend daß Herr Schweitzer sich mit diesem Kram nicht auskannte. Mutlos sandte Maria eine SMS hinterher. Blöder Kerl, dachte sie ungerechterweise, warum verschließt du dich auch immer gegen neue Technologien, wenigstens mit einem Handy umzugehen hättest du inzwischen lernen können. Einem inneren Impuls nachgebend sagte sie: „Laß uns doch mal an den Main runtergehen, vielleicht liegt Simon da irgendwo verletzt rum.“ Oder tot, doch diesen Gedanken erstickte sie sofort im Keim.
Akribisch suchten sie in den Sträuchern beiderseits des ausgetretenen Trampelpfades bis zur Endstation der Straßenbahnlinie 11. Außer ein paar Enten, die schlaftrunken das Weite suchten, fanden sie nichts Lebendiges. Aber auch keine Leiche, was nur ein schwacher Trost war. Desillusioniert traten sie den Rückzug an.
„Und?“ fragte Ferdinand S., als sie wieder beim Taxi waren.
„Nichts“, sagte René.
Maria: „Was jetzt?“
René: „Ich weiß nicht.“
Das Stimmungsbarometer war auf dem Gefrierpunkt angekommen. Angestrengt überlegten sie, was sie nun noch tun konnten.
„Rufen wir die Polizei“, sagte Maria nach ein paar langen Sekunden mit brüchiger Stimme.
„Warten wir noch ein bißchen.“ Renés Stimme war nur noch ein Hauch vergangener Verwegenheit.
„Soll ich zurückfahren?“ fragte Ferdinand S. leise.
„Ja, vielleicht ist Semmler jetzt da und hat eine Idee.“
Maria drohte unter der Last zusammenzubrechen. Einzelne Tränen kullerten die Wange hinunter. Da sie aber hinten saß, bemerkte es niemand. Der Taxifahrer startete den Motor. Gespenstisch kalt lag der Asphalt vor ihnen. Kein Wort fiel auf dem Weg zurück.
Angst essen Seele auf. Das wußte Herr Schweitzer natürlich und wollte es unbedingt vermeiden. Die letzte halbe Stunde hatte er intensiv nachgedacht. Ihm war
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