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Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)

Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)

Titel: Tod im Ebbelwei-Express (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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und Buddha blickten betreten zur Seite. Karin faßte Marias Arm, teils um ihr Mut einzuflößen, teils um sie daran zu hindern, Renés nicht eben in Granit gemeißelte Worte zu zerstören.
    Wortlos schenkte Bertha Kaffee aus. Alkohol war so ungefähr das letzte, nach dem die Situation verlangte. Das Warten begann. Marias Handy hatte die Bedeutung eines sakralen Gegenstandes angenommen und wurde taxiert wie das Turiner Leichentuch Christi.
    Herr Schweitzer war wieder im Geschäft. Es fehlte nicht viel und er hätte seiner Unmusikalität zum Trotz ein Liedchen vor sich hingeträllert. Vor einer halben Stunde hatte er damit begonnen, seinen Baumwollpullover aufzudröseln. Schade um das gute Stück, es hatte eine Stange Geld gekostet, aber das Leben war allemal mehr wert. Seines zumindest, fand er. Nicht zum ersten Mal gab er sich der Überlegung hin, warum er, abgesehen vom Fliegen, gegen Angst immun war. Eine plausible Erklärung, vielleicht die plausibelste überhaupt, lag darin, daß er den Tod nicht fürchtete, weil er fast jeden Tag, seit er zu denken imstande war, genossen hatte, was nur wenigen Menschen vergönnt ist.
    Nach der Schule schmeiße ich mich ins Abenteuer. Okay, gut, dann halt nach der Berufsausbildung. Aber bestimmt werden mein Mann – meine Frau – und ich alles nachholen, wenn die Kinder erst mal aus dem Haus sind. Wir freuen uns schon tierisch auf die Rente, dann steht dem Dolce vita nichts mehr im Wege. Leider, leider haben fast alle Menschen bis dahin vergessen, aus welchem Stoff die Träume ihrer Jugend waren, was sie damals darunter verstanden hatten. Obendrein waren sie immer ängstlicher geworden, so daß als Inbegriff der Lebenslust zum Ende der Tage hin eine von Spezialisten organisierte sechswöchige Karibikkreuzfahrt herhalten mußte. Und so hatten sie bis zur Verwirklichung dieser kurzen Freude nach dem heutigen Stand etwa fünfundsechzig mühund armselige Jahre hinter sich zu bringen. Oft hatte einen inzwischen, keiner weiß warum, auch der Lebenspartner verlassen. Und alleine macht so eine Kreuzfahrt, Hand auf’s Herz, auch keinen rechten Spaß. Kann sein, daß der ein oder andere als Alternative eine Finca in der Estremadura oder ein mit viel Liebe restauriertes Häuschen in der Toskana im Visier hat. Das ändert aber nichts am verlorenen Leben.
    Herr Schweitzer war da anders. Nicht, daß er gerne verreiste, um bei der Wahrheit zu bleiben, hatte er sogar noch nie einen Fuß auf ausländischen Boden gesetzt, aber er lebte mit Hingabe nach seinem Gusto. Und wenn er einen kompletten Tag vertrödelte, so tat er es stets ohne jede Reue. Viele Freunde und Bekannte hielten ihn für mutig. Letztes Jahr, kurz vor Weihnachten, hatte er für sein couragiertes Eingreifen bei einem Banküberfall, als er der Filialleiterin der Teutonischen Staatsbank das Leben rettete, aus den Händen der Frankfurter Oberbürgermeisterin sogar eine Auszeichnung erhalten, was ihn auf die Titelseite des Lokalteils hiesiger Tageszeitungen brachte. Doch verbot es nicht nur der philosophische Blickwinkel, diese Tat als heldenhaft zu bezeichnen, denn wo keine Angst ist, gibt es auch keinen Mut. Nur ängstliche Menschen können mutig sein.
    Herr Schweitzer war es mit dieser seiner Interpretationsweise von Angst und Mut zufrieden und knotete weiterhin eifrig an seinem Seil. Er war nun felsenfest davon überzeugt, kein Testament zu brauchen. Nicht heute, und morgen auch nicht. Den letzten Knoten überprüfte er auf seine Reißfestigkeit, indem er heftig links und rechts daran zog.
    Eine Viertelstunde später war er mit seiner Arbeit fertig und die Reste seines ehemaligen Pullovers allenfalls noch als Topflappen zu gebrauchen.
    Das Seil spannte sich von der Spülvorrichtung des Klos durch die Drähte der Glühbirne an der Decke bis zur Tür. Da es zu hell war und der Lichtschalter von innen nicht zu bedienen war, befeuchtete Herr Schweitzer seine Finger mit Spucke, fuhr damit durch den Dreck auf dem kühlen Betonboden und bestrich mit diesem Gemisch die Glühbirne. Dies wiederholte er mehrere Male, bis der Raum soweit abgedunkelt war, daß seine Konstruktion auf den ersten Blick nicht so leicht zu erkennen war. Und selbst wenn, er baute auf das Überraschungsmoment. Im Film hatte es jedenfalls funktioniert, warum also nicht auch in seinem Fechenheimer Kerker. Doch das größte Problem stand noch bevor. Noch nie im Leben hatte Herr Schweitzer körperliche Gewalt angewendet. Eine unsichtbare Barriere hatte dies bislang

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