Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
Maria seinen kreuzgefährlichen Zustand auf den Punkt genau zu deuten, und daheim tut sie so, als sei alles nur eine Lapalie. Frauen.
„Nein, heute mal einen Sauergespritzten, bitte“, antwortete Herr Schweitzer.
Ein Sauergespritzter ist gewissermaßen das Gegenteil eines Süßgespritzten, der zwar nicht sauer schmeckt, wie es der Ausdruck suggeriert, weil es sich um neutrales, unsaures Mineralwasser handelt, das dem Frankfurter Nationalgetränk Apfelwein beigemischt wird, aber der besseren Unterscheidung wegen so heißt, indes der Süßgespritzte seinen Namen tatsächlich zu recht trägt, da hier anstatt unsaures Mineralwasser süße, kohlensäurehaltige Zitronenlimonade zum Mixen verwendet wird, was schon fast einem Paradoxon gleichkommt, weil die gemeine Zitrone normalerweise von Natur aus als durchaus sauer zu bezeichnen ist, wobei sie, die Zitrone, ihre Grundausrichtung aber in dem Moment einbüßt, wo sie als Limonade daherkommt, da ihr dermaßen viel Zucker beigegeben worden ist, daß der Naturgeschmack nicht nur übertüncht, sondern ins zuckersüße Gegenteil verkehrt wird. Wer das alles nicht weiß, könnte durchaus zu dem Schluß kommen, und keiner würde es ihm besonders verübeln, daß es sich bei einem Sauergespritzten um einen Süßgespritzten und bei einem Süßgespritzten um einen Sauergespritzten handelt. Dann gibt es noch den Tiefgespritzten, aber das wäre jetzt zuviel auf einmal.
Außerdem versprach sich Herr Schweitzer Vorteile davon, Sauergespritzten beziehungsweise überhaupt Apfelwein zu trinken, schließlich wollte er hernach noch in den Schoppepetzer, und in einer Apfelweingaststätte trank er stets ausschließlich Apfelwein, das gehörte sich so. Obwohl man im letzten Jahrzehnt auch dort Verrat übend dazu übergegangen war, Bier anzubieten, wenn auch meist, alles hat seine Grenzen, nur aus unästhetischen Flaschen. In Sachsenhausen gab es mal Zeiten, noch gar nicht so lange her, da machte man sich mindestens der Revolution verdächtig, bestellte man in einer Apfelweingaststätte das Konkurrenzgebräu Bier. Doch Zeiten ändern sich nun mal, wie man an unserem mal dicken, mal dünnen, dann wieder dicken Außenminister gar allzuleicht ablesen kann, der unlängst anläßlich einer offiziellen Amerikareise anmerkte, dieses alberne Land zwischen Kanada und Mexiko, wo sich hirnlose, waffenstarrende Kleinstadtcowboys und Hillbillys gegenseitig die Lichter auspusten, sei eine vorbildliche Demokratie. Dabei sollte diesem Im-Trüben-Fischer mal jemand darauf aufmerksam machen, daß eine Gesellschaftsform, in der jemand Chef werden kann, der weniger Wählerstimmen auf sich vereint als der Gegenkandidat, nicht Demokratie, sondern Diktatur heißt. Fängt ja beides mit D an, da kann eine Verwechslung im Eifer des Gefechts schon mal vorkommen. Glatt ist das Parkett der Diplomatie.
„Scheißkanaken, sollte man alle rausschmeißen“, drang es an Herrn Schweitzers rechtes Ohr.
„Bitte?“
„Scheißkanaken, arbeiten alle nix und machen sich einen faulen Lenz.“
O Gott, dachte Herr Schweitzer, scheint ja mein Glückstag zu werden. Diffus erinnerte er sich an Semmler, der ihm vor langer, langer Zeit mal erklärt hatte, er meide den Frühzecher, weil ihm dort eine Laberbacke ein ums andere Mal auf die Pelle gerückt war. Herr Schweitzer sah sich den Knilch genauer an. Speckige Klamotten, fettiges Haar, Schmerbauch und ein aufgedunsenes Gesicht, das auf Dauerrausch schließen ließ. Er hatte keinen Bock, sich von so jemandem zutexten zu lassen und ging ungewohnt hart in die Offensive: „Was machst du eigentlich, ich meine von wegen Arbeit und so?“
Die Laberbacke strauchelte: „Ich … äh … also, ich war Schlosser. Firma pleite.“
„Arbeitslos also?“
„Ja, Scheißkanaken.“
René brachte den Sauergespritzten. „Wohl bekomm’s.“
Herr Schweitzer nickte und widmete sich wieder seinem Kreuzzug gegen Doofheit. „Wegen dir zahle ich also so viele Steuern. Ich hab einen Freund, der sucht schon seit Monaten eine Aushilfe. Müßtest allerdings um ein Uhr früh anfangen. Ist nämlich eine Bäckerei. Soll ich dir mal seine Telefonnummer geben?“
Die Laberbacke schaute ihn an, als wäre sie gerade dazu aufgefordert worden, vom Goetheturm zu springen. „Hast du sie noch alle?“
„Eben. Auf Ausländer schimpfen und selbst schmarotzen, so Idioten hab ich gerne.“ Wie zufällig schmiß Herr Schweitzer Laberbackes Bierglas um. „Oh, das tut mir aber leid.“
„Was soll der Scheiß?
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