Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
vergessen hatte, war, daß er die Wahrheit gesprochen hatte. In Marias Nachtschränkchen, besser gesagt, in Herrn Schweitzers Nachtschränkchen von Marias Doppelbett lag noch immer die Browning, die er bei seiner Flucht dem russischen Weichei abgenommen hatte. Das war jetzt aber schon verdammt lang her.
Eine halbe Stunde später nahm Herr Schweitzer die Dinge, wie sie kamen, in diesem Fall einen Cognac, auch wenn er damit von seinem Vorsatz, nicht durcheinander und schon gar nichts Hochprozentiges zu trinken, abwich. Der Polizist hatte großzügig eingeschenkt.
„Auf unseren Sachsenhäuser Rambo.“
Herrn Schweitzers Widerstandskraft war am Sinken: „Genau.“
Als er eine weitere halbe Stunde später die nimmermüden Trinker Funkal und Sanchez verließ, denen Maßhalten nicht gegeben war, obwohl, ein Maß konnten sie schon noch halten, sofern es mit Bier und ästhetisch gelungener Schaumkrone gefüllt war, er bei René einen Deckel gemacht hatte und auf der Straße stand, fegte ein Sturm übers Land, daß einem Hören und Sehen verging. Schnell wie eine Wanderdüne kämpfte sich Herr Schweitzer gegen den Wind voran. Seltsamerweise regnete es nicht. Auf einer Bank beim Alten Friedhof zwischen Schiffer- und Gutzkowstraße ruhte er sich kurz aus. Als sein Atem sich wieder beruhigt hatte und er glaubte, den Weg fortsetzen zu können, plumpste aus heiterem Himmel ein grotesk übergewichtiger weiblicher Torso neben ihn auf die Bank. Es war in der Dunkelheit nicht leicht, in dem Medizinball auf dem Hals Gesichtszüge zu erkennen. Aber es war auch überflüssig, denn alsbald schlug eine kräftige Hand auf seinen Rücken ein, so daß er nach vorne gesegelt wäre, käme aus dieser Richtung nicht der Orkan, der ihn gegen die Lehne drückte. Dank dieser zwei entgegengesetzt wirkenden Naturkräfte blieb Herr Schweitzer, wo er war.
„Ha. Simon, du alte Drecksau, was geht ab?“ Es war die dicke Gertrud, seine alte Klassenkameradin, der aus dem Weg zu gehen eines seiner vielen Zeitvertreibe war. Herr Schweitzer war schon absichtlich nicht an der Bushaltestelle am Lokalbahnhof vorbeigelaufen, weil diese quasi ihr Hauptquartier darstellte. Er ahnte, was nun kommen würde, und zückte schon mal sein Portemonnaie. Doch da war Ebbe, hatte er doch gewissermaßen sein letztes Hemd bei René gelassen. „Oh, Mist.“
Die dicke Gertud kreischte gegen das Tosen: „Was ist Mist?“
„Guck. Hier. Mein Portemonnaie. Leer. Ich bin pleite.“
Nun folgten zwei Dinge, mit denen Herr Schweitzer nicht wirklich gerechnet hatte. Das erste war ein zweiter mit Bärenkräften ausgeführter Hieb auf seinen Rücken, der außer den unglaublichen Schmerzen bewirkte, daß er nach vorne kippte, weil der Regulator Gegenwind kurz nachgelassen hatte. Gerade noch konnte er verhindern, auf dem Hosenboden zu landen.
„Aber Simonchen, das macht doch nix, kommt in den besten Familien vor.“ Es folgte ein krächzendes Lachen, das an einen entgleisenden Güterzug erinnerte.
Herr Schweitzer war noch am Überlegen, was genau jetzt nix machte, als die zweite faustdicke Überraschung folgte. Die dicke Gertrud kramte aus ihrer speckigen Trainingshose, die selbst für besagten Damenübergrößenhändler ein paar Nummern zu groß gewesen wäre, eine Handvoll Centmünzen und überreichte sie ihm nonchalant. „Hier, nimm, damit du morgen was zu saufen hast. Ich selbst bin noch gut versorgt.“ Sie deutete auf ihre Aldi-Plastiktüte. „Magst einen Schluck?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, holte die dicke Gertud eine 2-Liter-Bombe Lambrusco hervor und schraubte sie auf.
Herr Schweitzer wollte schon erwidern, keinen Durst mehr zu haben, als ihm gewahr wurde, dies ziehe womöglich einen weiteren Schlag nach sich, der ihm mit Sicherheit das Rückgrat bräche. Soweit wollte er es nicht kommen lassen, sein Rückgrat war ihm heilig. „Gerne.“
Eine nicht gerade niedrige Hemmschwelle überwindend tat er einen kräftigen Schluck von dem abscheulichen Gesöff – „Hmm, lecker“ – mit der Gewißheit, einmal mehr den mühseligen Weg des Lebens zu durchlaufen, obwohl das hellenische wie auch das simonschweitzerische Ideal eigentlich auf Müßiggang ausgerichtet waren. Mittelbar stand diesem Ideal aber die Mafia, unmittelbar die dicke Gertrud entgegen. Wird Zeit, eine Selbsthilfegruppe zu gründen, dachte Herr Schweitzer, indes der billige Fusel in seiner Kehle brannte.
Eine weitere Ungereimtheit folgte, als die extrakorpulente Gertrud plötzlich mit den Worten
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