Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
aufstand: „Schade, daß wir nicht noch ein bißchen über die guten alten Zeiten plaudern können, aber ich muß morgen früh raus.“
Wozu, fragte sich Herr Schweitzer, war doch die dicke Gertrud noch nie in ihrem Leben einer geregelten Arbeit nachgegangen. Natürlich hätte er danach fragen können, doch hätte eine solche Unbedachtheit die Geschichte unnötig in die Länge gezogen. „Na dann, nett, dich mal wieder getroffen zu haben.“
Die riesige Schattenwand entschwand in die Finsternis. Genesungstechnisch wäre es nun vorteilhafter gewesen, Herr Schweitzer wäre direkt nach Hause gegangen. Da er nun jedoch Vollmitglied des Sachsenhäuser Verteidigungsbündnisses wider die mafiöse Schreckensherrschaft war, stand er in der Pflicht. Allein schon der Ehrenkodex sich selbst gegenüber gebot ihm eine Fortführung seiner Mission. Wie auch immer geartete Ängste unterdrückte er, dies waren lediglich Fantasien Nichterleuchteter. Und für eine große Leuchte hielt er sich kraft der durcheinandergetrunkenen Alkoholika. Also erhob er sich. Er würde den direkten Weg über die Textorstraße einschlagen, der hauseigene Wetterbericht kündigte ihm dort Rückenwind an.
Im Schoppepetzer wurde er von einer angenehmen Wärme empfangen. Es war bei weitem nicht so voll wie im Frühzecher, so daß er Karin und Weizenwetter sogleich an einem Tisch in der hintersten Ecke erkannte. Sie hielten Händchen. Weizenwetter hatte eine Flasche Sprudel vor sich stehen. Ersteres lag in Anbetracht der Verschlungenheit menschlicher Wege im Bereich des Denkbaren, zweiteres war ein absurder Anblick. Weizenwetter hatte noch nie, von der Muttermilch mal abgesehen, aber auch da war sich Herr Schweitzer nicht hundert Prozent sicher, Antialkoholisches zu sich genommen. Er hegte sogar den Verdacht, Weizenwetter nehme heimlich Vitamintabletten und andere Aufbaupräparate, anders war nach bis dato bekannten medizinischen Erkenntnissen solch ein Lebenswandel gar nicht möglich. Aber man hört ja allenthalben von medizinischen Wundern, man denke da nur an die ewigjunge Cher und den Leistungssportler Ullrich, der mopsgesichtig und ganz ehrlich dopingfrei Jahr für Jahr für Jahr topfit die Strapazen der Tour de France mit Bravour meisterte.
Aber Herr Schweitzer war ja nicht wegen der Turteltäubchen Karin und Weizenwetter hier, auch wenn man mit dieser Neuigkeit seinen Platz auf dem Sachsenhäuser Klatschsektor festigen konnte. Schnurstracks ging Herr Schweitzer an die Theke, hinter der Semmler gerade an einem Faulenzer – Bembelhalter – hantierte. „Hallo, Buddha, wie läuft’s?“
Betrübt antwortete Semmler: „Günther hat sich gestern Urlaub genommen. Ich muß den Laden alleine schmeißen, Bestellungen aufgeben, Abrechnung undsoweiter.“
„Die Mafia?“
„Die Mafia.“
Das Gute bei Leuten, die man schon ewig kennt, ist, man braucht nicht großartig Worte zu verlieren, um einander zu verstehen.
„Wann?“
„Gestern Mittag, waren bei Günther zu Hause.“
„Zu Hause?“
„Yap.“
Das war eine Entwicklung, die Herrn Schweitzer gar nicht gefiel. Wenn die jetzt schon keinen Respekt mehr vor der Privatsphäre haben, dann fragt man sich unwillkürlich, wann man selbst als Nächster dran ist. Bis jetzt hatte sich die Schlacht ja auf neutralem Boden abgespielt, dachte Herr Schweitzer, in Kneipen, wo man als Gast einen gewissen Abstand verspürte, doch nun lag die Befürchtung nahe, das eigene Wohnzimmer könnte zum zweiten Verdun werden. Kein Wunder also, daß dieser Gedanke Herrn Schweitzer wenig behagte, zumal er auch kein Wohnzimmer im herkömmlichen Sinne besaß, mehr so eine Wohn-Schlafzimmer-Kombination. Vom Platzmangel für eine tüchtige Völkerschlacht mal ganz abgesehen.
„Und das Schlimmste kommt noch“, unterbrach Buddha Semmler Herrn Schweitzers theoretische Exkursion.
„Was?“
„Als mich Günther heute anrief, faselte er was von wegen den ganzen Kram hinschmeißen.“
„Wie, den Schoppepetzer dichtmachen?“
„Hat sich so angehört. Ja.“
Herr Schweitzer war empört, da riß er sich den Arsch auf, begab sich in Lebensgefahr und dann strichen die Leute so mir nichts dir nichts einfach die Segel. Was sollte aus dieser Welt nur werden?
Buddha: „Es gibt nur eine Herrschaft, die des Todes. André Malraux.“
Jaja, dachte Herr Schweitzer, weiß ich ja alles, trotzdem muß sich auch irgendwer um das Leben kümmern. Er mußte mal. Apfelwein ist eines der diuretischsten Mittel, die legal auf dem Markt zu
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