Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
anfängt, dachte Herr Schweitzer.
„Es gibt kaum Alternativen“, erklärte Maria von der Heide mit fester Stimme.
Das hatte er befürchtet, die Alternativen, es gibt sie einfach nicht. Und die Zeit drängte. „Keine Alternativen?“
„Nein, keine, jedenfalls keine, die mir einfallen, Simon. Es ist nun mal so wie es ist. Die Mafia kennt weder Regeln noch Moral. Nur sie selbst und ihre bescheuerten Ehrenkodizes wie Omertà und Vendetta haben Bedeutung. Die Mafia auszurotten haben schon ganz andere versucht, Männer mit mehr Mumm in den Knochen als wir alle zusammen. Und was war das Ergebnis? Sie existiert weiter und ist stärker als je zuvor. Du mußt wissen, die Mafia ist im Laufe zweier Jahrhunderte zu einer festen Größe gewachsen, ohne die in Italien nichts läuft. Sie wird es noch geben, wenn wir beide längst unter der Erde liegen.“
Herr Schweitzer wollte nicht unter der Erde liegen. Er ging zu Maria und umarmte sie ganz heftig.
„Dein Plan, lieber Simon, ist zwar … äh, komisch, aber durchaus praktikabel“, sagte sie, nachdem sie sich ein wenig aus Herrn Schweitzers Umklammerung gelöst hatte. „Das Einzige, was wir vielleicht machen können, ist, sie aus Sachsenhausen zu vertreiben, bevor sie sich hier etablieren. Im Anfangsstadium hat jeder seine Probleme und ist anfällig. So auch die Mafia, die mit uns Sachsenhäusern noch keine Erfahrung hat. Das ist unsere Chance, verstehst du? Und nun geh und ruf Bertha an.“
Herr Schweitzer fühlte sich gleich viel besser. Wenn Maria mit seinem Plan einverstanden war, dann hatte auch er nichts dagegen. René zählte da nicht. Der war bloß ein einfach gestrickter Ex-Rocker, der sein eigenes Süppchen kochte und Rachegelüsten frönte. Maria und er gingen erstmal ins Bett. Knutschen und so. Das schweißt zusammen und ist wichtig in Zeiten großer Bedrängnis.
Das entscheidende Gespräch fand am selben Abend im Weinfaß statt. Anwesend war alles, was Rang und Namen hatte, als da wären: Bertha, Maria, Herr Schweitzer, René, Buddha Semmler, Karin und Weizenwetter. Berufsbedingt fehlten Earthquake-Werner, der im Frühzecher bediente, und Albert, der Fjodor Alenichev, immer wenn dieser aufwachte, eine weitere Spritze Heroin injizierte. Weizenwetter und René hatten Cola, der Rest Wein vor sich stehen. Es war schon weit nach Mitternacht, das Weinfaß für den Publikumsverkehr gesperrt. Herr Schweitzer schwebte zwischen Hoffen und Bangen, was diesen Abend betraf. Manchmal sah er sich mit dem Banner der Freiheit in der Faust auf den Barrikaden, heldenhaft die zweite Résistance anführend, nur um sich einige Sekunden später bibbernd vor Angst mit einer Bettdecke über dem Kopf in der hintersten Ecke vor den Unbilden der Welt zu schützen. Dieses Wechselbad der Gefühle konnte auch Marias Anwesenheit nicht lindern. Erneut war Herr Schweitzer von René aufgefordert worden, seinen Plan zum besten zu geben.
Als er damit fertig war, hatte man allgemein den Eindruck, Herr Schweitzer sei ein abgebrühter Kriegsberichterstatter, so wenig prononciert und bar jedweder Emotion hatte seine Stimme geklungen.
Wie von Herrn Schweitzer erwartet, war es Bertha, die grenzenlose Begeisterung zeigte: „Stark. Das gibt ein Blutvergießen, das die nie nicht vergessen werden.“
Buddha Semmler war da schon distanzierter: „Gleiches mit Gleichem vergelten, nur so kommen wir voran.“
Bertha: „Jawoll.“
Maria: „Stellt sich nur die Frage, wie wir an den Ebbelwei-Expreß rankommen.“
René: „Wieso? Ganz normal mieten, was sonst?“
Maria: „Na klar, du gehst einfach hin und legst deinen Personalausweis vor. Und gleich danach läßt du dich verhaften oder tauchst unter oder wie stellst du dir das vor?“
René: „Ach so.“
Herr Schweitzer hätte am liebsten das Handtuch geschmissen, so wurde das doch nie was. Doch Weizenwetter, der mehr mit seiner neuen Flamme Karin beschäftigt war als daß er zuhörte, sagte lapidar: „Klaut doch den Ebbelwei-Expreß einfach. Der steht zur Zeit im Depot am Südbahnhof und wird auf die Saison vorbereitet.“
„Auf die Saison vorbereitet …“, wiederholte Bertha, „du mit deinem blöden Fußball.“
Weizenwetter: „Ich meine, der wird da neu gestrichen und überholt und so.“
Gegen seinen Willen entfuhr es Herrn Schweitzer: „Klauen ist gut. Ich kann fahren.“
Bertha und René unisono: „Du kannst den Ebbelwei-Expreß fahren?“
Herr Schweitzer war nun doch sehr in seiner Ehre gekränkt: „Warum denn nicht?
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