Tod im Herbst
Erleichterung, als er das Haus verließ. Ich kannte ihn nicht mehr, er war ein Fremder geworden, beinahe ein Monster.«
»Hatten Sie Angst vor ihm?«
Sie antwortete nicht sofort. Sie schüttelte den Kopf, als wollt e si e e s leugnen , un d ihr e dünne n Händ e nestelten am Verschluß der Handtasche herum. »Entschuldigen Sie!« Sie hatte die Tasche aufbekommen, schien aber vergessen zu haben, was sie suchte. Zwei dicke Tränen kullerten über die runzligen Wangen und gruben zwei rosafarben e Ri n nen in den weißen Puder.
Der Hauptmann reichte ihr ein gefaltetes, weißes Taschentuch, sie nahm es, tupfte sich damit die Augen ab un d putzt e sic h di e Nase.
»Ich wollte nur, daß er Erfolg hat und glücklich ist, daß er ein sauberes, anständiges Leben führt wie sein Vater. Verstehe n Sie?«
»Ich verstehe. Signora, Sie würden uns sehr helfen, wenn Sie Ihre Schwiegertochter identifizieren würden, aber wenn es für Sie zu quälend ist, die Leiche des Jungen anzusehen, so können wir auch anhand des Gebisses herausfinden, ob es Ihr Enkel war oder nicht. Das hätten wir sowieso gemacht, wenn Sie nicht gekommen wären.«
»Das würde aber doch einige Zeit dauern...« Sie zerknüllte das feuchte Taschentuch selbstvergessen zwischen den Fingern, ohne die Tränen, die noch immer flössen, abzuwischen.
»Es würde einige Zeit dauern, ja.«
»Dann möchte ich es lieber jetzt wissen, solange ich hie r bin . Wen n Si e mic h nu r eine n Momen t entschuldigen wo l len, damit ich mich sammeln kann...«
»Selbstverständlich. Möchten Sie etwas essen, bevor wir gehen?«
»Nein, ich könnte nicht. Ein Glas Wasser vielleicht.«
»Ich kann Ihnen einen Kognak bringen lassen, wenn Si e wollen.«
Sie schüttelte den Kopf.
Der Hauptmann bat telefonisch um etwas Wasser und ging dann in das Nebenzimmer. Der Wachtmeister saß ruhi g un d ausdruckslo s da . De r Junge , de r jetz t kerzenge rade auf dem Stuhl saß, wirkte verängstigt und erregt. Vielleich t wa r ihm , nachde m e r mi t seine n Elter n telefoniert hatte , de r Erns t de r Lag e deutliche r bewuß t geworden . Als er den Hauptmann erblickte, sprang er hoch.
»Sie können mich hier nicht festhalten, passen Sie nur auf! Mein Vater wird morgen hier sein!«
Der Hauptmann beachtete ihn nicht, sondern fragte Guarnaccia, der sich langsam erhob: »Hat er was geges sen?«
»Kaffee und ein belegtes Brot.«
»Also los, gehen wir!«
Zwei Wagen brachten sie zum Gerichtsmedizinischen Institut, wobei der Wachtmeister mit Sweeton im zweiten saß. Als sie die große, in mildes Sonnenlicht getauchte Piazza verließen und die kühlen Stufen im Schatten des wuchtige n Gebäude s hochstiegen , blie b de r Jung e plötzlich stehen.
»Si e könne n mic h nich t zwingen , gege n meine n Willen mitzukommen!« Er hatte unbewußt Englisch gesprochen. Der Wachtmeister, der ihn trotzdem verstanden hatte, sagt e nichts . E r stellt e sic h mi t seine m massige n Körpe r dem Junge n einfac h i n de n Weg , un d dan n gin g e s wiede r weiter.
In der kühlen, marmornen Eingangshalle roch es scheußlich nach Formaldehyd.
»Bleiben Sie noch einen Moment hier mit ihm sitzen!«
Der Hauptmann zeigte auf eine polierte Holzbank. »Wir werden zuerst die Identifizierung der Frau vornehmen.« Er sprach am Empfangsschalter mit jemandem, und nach kurze m Warte n führt e ei n Pförtne r ihn , di e alt e Dam e und den Rechtsanwalt einen langen Korridor hinunter.
»Setz dich!« sagte der Wachtmeister zu Sweeton, wäh ren d e r selbs t stehenblieb , di e große n Auge n au f de n Jun gen gerichtet, der so elend aussah, als hätte er schon eine Leich e gesehen.
Nach kurzer Zeit kam der Pförtner wieder zurück.
»Hier entlang!«
Als sie zu den anderen stießen, stellte sich heraus, daß ein Irrtum vorlag. Die Leiche des Jungen war in einen Seziersaa l au f eine m andere n Stockwer k gebrach t worden. Ei n andere r Bedienstete r führt e si e hinauf . E r sagte : »Der Professor wird sich diesen Fall nach der Mittagspause vornehmen. « Si e trate n au s de m Lif t au f eine n Korridor , in dem es noch viel stärker roch.
»Hier herein.«
»Einen Moment.« Der Hauptmann nahm den Ange stellte n beiseit e un d sagt e z u ihm : »Wi r nehme n an , da ß es sic h u m de n Enke l diese r Dam e handelt . Wen n di e Leiche so abgedeckt werden könnte, daß sie nicht sieht, daß der Kopf.. .«
»Versteh schon. Ich habe ihn selbst hoch gebracht. Das Tuc h lieg t noc h darauf . Wolle n Sie , da ß
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