Tod im Herbst
Natürlich habe ich das Geld nicht angerührt. Ich habe es auf ein Sparkonto getan, das ich für meinen Enkel eingerichtet hatte.«
»Weiß er davon?«
»Ich habe ihn an seinem achtzehnten Geburtstag dar übe r informiert.«
»Warum ging das Geld direkt an die Bank und nicht an Si e persönlich?«
»Auf meinen Wunsch hin. An einem persönlichen Kontakt mit meiner Schwiegertochter hatte ich kein Inter esse.«
»Sie betrachten einen Scheck als persönlichen Kontakt? Ode r ga b e s auc h Briefe?«
»In den ersten Jahren, ja.«
»Sie haben nur verlangt, sie solle das Geld direkt überweisen, und auf die Briefe ansonsten nicht reagiert?«
»Die Briefe waren nicht an mich, sondern an meinen Enke l gerichtet.«
»Hat er sie beantwortet, als er alt genug war?«
»Er hat sie nie zu Gesicht bekommen.«
»Sie waren der Ansicht, daß Sie das Recht hatten, die Post Ihres Enkels zu zensieren?«
»Mein Enkel war ein kleines Kind. Da er meiner Obhut überlasse n war , betrachtet e ic h mic h al s verantwortlic h für sein sittliches Wohlergehen.«
»Und Sie glaubten, sein sittliches Wohlergehen könnte durc h Brief e vo n seine r Mutte r gefährde t werden?«
»Ja. Die Umstände ihres Todes, ganz zu schweigen von den unerklärlichen Geldsummen, die es ihr ermöglichten, i n eine m Hote l z u wohnen , zeige n j a auch , da ß meine Befürchtunge n meh r al s berechtig t waren.«
Der Hauptmann beobachtete den Rechtsanwalt genau, als er die letzte Bemerkung ins Italienische übersetzte, doc h da s breit e Gesich t de s Schweizer s lie ß nu r kühle, professionell e Höflichkei t erkennen . E r beschloß , seine Erpressungstheori e noc h nich t zu r Sprach e z u bringen, sondern bei dem Jungen zu bleiben.
»Wohnt Ihr Enkel noch immer bei Ihnen, Signora?«
»Ja, aber die meiste Zeit verbringt er auf seiner Schule in Frankfurt.«
»Ist er im Moment dort?«
Sie zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde, ehe sie antwortete: »I m Moment ist er auf Reisen.«
»In Europa?«
»Ich glaube schon. Ich erhalte nur ab und zu eine An sichtskarte.«
»Wann ist er aus Deutschland abgereist?«
»Anfang Juli.«
»Müßte er jetzt nicht wieder zur Schule gehen?«
»Doch. Leider hat er von der Mutter eine gewisse Eigensinnigkeit geerbt.«
»Glauben Sie, er könnte hierher gekommen sein, um seine Mutter zu besuchen?«
»Ich sehe keinen Grund zu dieser Annahme.«
»Nicht einmal die Tatsache, daß Ihre Schwiegertochter a b Jul i kein e regelmäßige n Überweisunge n meh r tätigte?«
»Das ist Sache meiner Bank. Ich habe davon nichts gewußt.«
Si e log , abe r nich t seh r gut . E s mußt e eine n Grun d dafür geben, warum sie von dem Jungen erst gesprochen hatte, nachdem er ihr das Thema aufgezwungen hatte.
»Ist er schon mal in Schwierigkeiten gewesen?«
»Wenn Sie meinen, mit der Polizei – nein.«
»Dann eben in der Schule?«
Sie antwortete nicht gleich, es gab eine kurze Diskussion zwischen ihr und dem Anwalt. Auch wenn der Hauptmann kein Wort davon verstand, war er überzeugt davon , da ß de r Anwal t ih r empfahl , di e Wahrhei t z u sagen, sie ließe sich ohnehin leicht herausfinden.
»Es gab ein Problem auf der Schule«, sagte sie schließ lich.
»Drogen?«
»Ja.«
»Ist er ausgerissen?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, er ist auf Reisen.«
»Ist er ausgerissen, bevor das Schuljahr zu Ende war? Ich kann es auch selbst herausfinden«, setzte er hinzu, »wenn Ihnen das lieber ist.«
»Er ist kurz vor Schuljahresschluß weggelaufen, ja. Er stand vor einer wichtigen Prüfung. Leider ist er schon immer sehr nervös gewesen.«
»Von den Prüfungen mal abgesehen, war er denn un glücklich?«
»Meinem Enkel ist es immer gut gegangen, es hat ihm nie an etwas gefehlt. Und wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, ich bin hierher gekommen, um mich zu vergewissern, daß in der Angelegenheit mit meiner Schwiegertochter alles korrekt abgewickelt wird und die Interessen der Familie gewahrt werden, aber nicht, um über meinen Enkel zu diskutieren.«
Was vermutlich hieß, daß Hilde Vogel, nun da sie tot war und etwas Vermögen hinterlassen hatte, am Ende doch noch in die Familie aufgenommen worden war.
»Existiert von ihr ein Testament?« erkundigte er sich bei dem Anwalt.
»Ja. Sie hat alles ihrem Sohn vermacht, abgesehen von einem kleinen Betrag für einen Mann namens Querci. Leider kann ich Ihnen nichts über ihn sagen, aber ich denke , wi r werde n seine r scho n habhaf t werden.«
»Wi r wissen , we r e s
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