Tod im Jungfernturm
einem Rasierer gesucht habe, habe ich in der Kommode ein Foto von Olovs Mutter gefunden. Sie heißt Mona, nicht wahr? Daß du ein Foto von der hast! Olov findet, daß ich so aussehe wie sie, als sie jung war. Tue ich das?«
»Verdammt!« Wenn er nicht krank gewesen wäre, hätte er sie vielleicht zusammengestaucht. »Verschwinde!«
Sie sah ihn mit ihren großen blauen Augen erstaunt an. Und wieder die verdammten Tränen. Stöhnend lehnte er sich in die Kissen zurück.
»Du magst mich nicht.«
»Doch, aber ich will nicht, daß du in meinen Sachen rumwühlst.« Blitzschnell umschlangen ihn ihre kühlen Arme. Er spürte eine ihrer nassen Haarsträhnen auf seinem Gesicht. Sie roch gut. Ihre Wange war so weich.
»Sag noch mal, daß du mich magst.« Er schloß die Augen und versuchte vergeblich, die Situation in den Griff zu bekommen. »Dann bleibe ich«, sagte sie.
9
Vielleicht lag es am Fieber oder an ihrem leichten Streicheln seiner unrasierten Wange, hinterher war es einfach unbegreiflich. Er hatte angefangen zu weinen. Als sie ihm das Foto von Mona auf die Brust gelegt hatte, hatte das Weinen ihn überrascht. Schnell die Decke weg und ins Badezimmer. Während der Wasserhahn geräuschvoll lief, kämpfte er darum, die Kontrolle wieder zurückzugewinnen. Das Weinen eines Kindes? Oder das eines vom Schlag getroffenen Alten?
Kaum sonderlich ästhetisch, dachte er, als die Gefühle sich beruhigt hatten und er sein rotverquollenes Gesicht in dem ovalen Spiegel über der Kommode sah. Dann kam die Wut. Wenn sie auch nur den allerkleinsten Mucks über diese Sache verlauten lassen würde, dann würde er ihr den Hals umdrehen. In seinen Sachen herumzuwühlen! Erinnerungen, an die er selbst seit vielen Jahren nicht gerührt hatte! Vielleicht hatte sie nicht gemerkt, daß er weinte. In diesem Augenblick haßte er sie, und Mona auch, und alle Frauen, denen er je begegnet war.
»Ich nehme mal eben dein Telefon.« Ihre Stimme auf der anderen Seite der Tür. Eine Feststellung, keine Frage. Als er aus dem Bad kam, saß sie auf seinem Schreibtisch und hatte den Telefonhörer unters Kinn geklemmt.
»Er ist verdammt gutaussehend für sein Alter, aber er zieht sich wie ein alter Mann an … Muß wohl mal mit ihm einkaufen gehen.«
Arne Folhammar warf ihr einen langen Blick zu und kroch wieder ins Bett. Der Körper schmerzte vom Fieber, und der Hals tat weh, wenn er schluckte. Aber am schlimmsten waren die Kopfschmerzen, sein Kopf fühlte sich an wie eine Nuß im Nußknacker.
Ihre Stimme zwitscherte und tirilierte auf und ab. »Er braucht mich wirklich … Nein, er weiß nichts … Es ist schon schwer, wenn man alt wird und dritte Zähne braucht … ganz schön teuer.«
»Verdammt noch mal!« Mit Hilfe seiner Ellenbogen richtete Arne sich ruckartig auf.
»Ich muß jetzt Schluß machen. Küßchen!«
»Wer war das?«
»Mama.«
»Wie süß!«
»Wir haben nicht über dich geredet, falls du das denkst. Wir haben von Papa gesprochen. Es ist überhaupt nicht witzig, wenn man eine Zahnarztrechnung über neuntausend Kronen kriegt. Ich muß heute nachmittag in den Laden. Papa geht zum Zahnarzt, und Mama schafft das alles nicht alleine. Jetzt sind Konfirmationen und Verlobungen, Mittsommerfeste und Schulabschlußfeiern. Die schlimmste Zeit.«
»Kommst du hinterher wieder?« Sofort bereute er seine Frage. Wollte er das wirklich?
»Soll ich unterwegs irgendwas Eßbares kaufen?«
»Überrasche mich.« Dann fügte er hinzu: »Bring gern was Fertiges mit.« Er vermißte sie schon, als sie im Flur stand. Wollte sie noch einen Augenblick festhalten. Wünschte, daß sie ihn bedingungslos wie ein kleines Kind berührte. Sie sollte einfach nur da sein mit ihrer freundlichen Gegenwart, in der Küche werkeln, leise singen, mit ihm über dieses und jenes reden, ohne eine Antwort zu erwarten.
»Wärst du so nett, mir ein Glas Wasser zu bringen?« Sie stellte das Glas auf den Nachttisch und steckte die Decke um ihn fest, und er merkte, daß ihm das sehr angenehm war.
»Findest du, daß ich mich wie ein alter Mann anziehe?«
»Ja, vielleicht. Jetzt, wo du es sagst … Ich kann irgendwann mal mit dir losziehen und einkaufen. Vielleicht können wir zusammen gehen.«
»Es gibt Grenzen.«
Das Foto von Mona lag noch auf dem Fußboden. Er nahm es auf und schaute sie an. Es tat immer noch weh, obwohl sie nicht sonderlich viel Zeit zusammen verbracht hatten. Sie war rund und sonnengebräunt. Das Foto war entstanden, kurz nachdem sie Olov und
Weitere Kostenlose Bücher