Tod im Jungfernturm
Pferde, der grüne Ritter vom Goldenen Schwert. Mit gefällter Lanze gab er seinem englischen Vollblut die Sporen, so daß es kampfbereit über die Bahn sprengte. Sie hatten den Kalender zu Weihnachten bekommen. Es war das einzige Geschenk gewesen. Die meisten Fotos hatte er selbst gemacht. Jetzt, wo sie weinen sollte, konnte sie es nicht.
»Hat Ihr Mann je davon gesprochen, sich selbst etwas anzutun?« fragte der lange Rothaarige, der sich als Arvidsson vorgestellt hatte.
Mona drehte sich langsam um und zwang sich selbst, langsam zu sprechen, als würde sie nach der Antwort suchen. Das beste wäre gewesen, wenn sie hätte weinen können, dann wäre sie wenigstens für heute davongekommen.
»Ja«, sagte sie schnell und atmete tief ein. Sie fand selbst, daß es traurig klang.
»Möchten Sie davon erzählen?« fragte er. Mona mochte seine Stimme, sie war ruhig und höflich. Keine Gefahr. Er war ihr Mitspieler im Drama um die ehrenwerte Witwe in Trauer.
»Es kam irgendwie schleichend«, antwortete sie. »Nichts machte mehr Spaß. Er wollte gar nicht mehr mitgehen und Leute treffen, er war müde und fühlte sich wertlos. Konnte nicht schlafen und hatte Potenzprobleme.«
Die Symptome für Depression hatte sie in einer Zeitschrift bei der Arbeit gelesen. Die lieh sie sich immer von der Putzfrau für die Mittagspause. Da wurde jede Woche ein neuer Selbsttest präsentiert: Sind Sie ausgebrannt? Man mußte Antworten ankreuzen, und dann gab es Punkte. Passen Sie zusammen? war es vorige Woche gewesen, und davor: Was für ein Putztyp sind Sie? Hatte sie alles aufgezählt? Waren sie zufrieden? Der Kleine mit dem Igelhaarschnitt sah sie irgendwie seltsam an, und sie fügte zur Sicherheit noch »Appetitlosigkeit und Schuldgefühle« dazu.
»Waren Sie auf, als Ihr Mann heute morgen losgefahren ist?« Der Stoppelige, er hieß Jesper Ek, sah sie geradeheraus an.
»Ja, Wilhelm mußte ja Frühstück haben.« Irgend etwas an dem Mann verursachte ihr Unbehagen. Sie mochte nicht, wie er andauernd seine Position auf dem Küchensofa veränderte und den Stift vor sich herumkreiseln ließ. Der andere saß wenigstens still, wenn auch etwas in sich zusammengesunken. Es juckte ihr in den Fingern, diesem Ek eine Ohrfeige zu geben. Er mußte still sitzen. Hast du Hummeln im Hintern? hatte Anselm immer gefragt, ehe der Schlag kam. Sitz still, du verdammtes Balg!
»Erinnern Sie sich, was er anhatte, als er sich heute morgen verabschiedete?«
Mona goß Arvidsson Kaffee ein, während sie nachdachte. Die Wahrheit war, daß Wilhelm eine blaue Arbeitshose und ein kurzärmliges blaukariertes Hemd angehabt hatte, aber in diesen Kleidern wäre er natürlich nie verreist. Wenn sie aber behauptete, er habe ein weißes Hemd und eine braune Synthetikhose getragen, und später die Leiche gefunden wurde, dann würde es für sie ungemütlich werden. Sie wollte das alles nicht! Sie hatte nichts getan! Wenn sie eine Fernbedienung gehabt hätte, dann hätte sie den unangenehmen Anblick der Polizisten weggedrückt.
Ihre Hand zitterte, und sie goß an Eks Tasse vorbei. Jetzt wurde er wütend, das wußte sie. Vielleicht würde er es nicht sofort zeigen, aber sie wußte es trotzdem. Solche Sachen kriegt man später zurück. Der Kaffee strömte über die Untertasse und dann über das Wachstuch. Er parierte, indem er sich schnell zur Seite bewegte. Als hätte er für dieses Manöver geübt, seit er hier ist, dachte Mona. Als hätte er gewußt, daß sie es nicht schaffen würde, Kaffee einzugießen. Ein Test.
»Können Sie sich erinnern, was er anhatte?« wiederholte Ek.
»Manchmal hilft es, im Schrank nachzuschauen.«
Da war es. Jetzt beschuldigte er sie offen. Sie faßte sich ein Herz und antwortete mit leiser Stimme.
»Ich weiß es nicht. Wenn man so lange zusammengelebt hat wie wir, dann schaut man sich vielleicht nicht mehr wirklich an. Ich glaube auch nicht, daß er hätte sagen können, was ich anhatte.« Hat er nie, dachte sie und stellte die Kuchenplatte auf den Tisch. Da konnten sie nun nicht meckern. Es gab Sandkuchen, Nußgebäck und natürlich Safranswecken.
»Ist er denn mit diesen Problemen mal zu einem Arzt gegangen?« fragte Arvidsson.
»Das hätte er nie getan!« Das konnte sie ohne zu zögern sagen. Es war schön, mal die Wahrheit zu sagen, auch wenn es nur ein klein wenig war.
»Hatte er Alkoholprobleme?« fragte der Rothaarige weiter. Mona dachte nach.
»Er trank gerne einen.«
»Mona! Mooona! Kommste nich bald mit
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