Tod im Jungfernturm
ihrem Platz aus konnte Maria das östliche Stadttor Österport sich wie ein Monument des Glanzes vergangener Zeiten erheben sehen. Die drei Kilometer lange Stadtmauer verlangte einem Anerkennung für diese gigantische Arbeit ab, die mit ganz anderen Mitteln bewerkstelligt worden war, als sie heute zur Verfügung standen. Es war erstaunlich, wie man sich die Kräfte der Natur zunutze machen konnte. Hartman hatte ihr erzählt, wie man in den Kalksteinbrüchen von Östergravar und am Galgenberg zu Werke geschritten war. In die natürlichen Risse hatte man Schlitze geschlagen und dann Eichenkeile hineingehämmert. Wenn die Keile dann mit Wasser bespült wurden, schwollen sie an und sprengten die Steinbrocken los. Eine beeindruckende Arbeit.
»Hat er Angehörige?« fragte Hartman, und Maria kehrte in die Gegenwart zurück.
»Ich habe mit seiner Frau telefoniert.« Arvidsson sah mit einem Mal sehr ernst aus. »Wir werden wohl hinfahren müssen. Sie wohnt in Eksta. Findest du das, Ek?«
Trygvesson blinzelte über den Rand seines Pappbechers gegen die Sonne. »Ich kann es Ihnen auf der Karte zeigen. Es ist nicht schwer.«
Maria warf Hartman einen belustigten Blick zu, als Trygvesson hineinging und sich noch einen Big Mac bestellte. Er nahm ihn auf die Hand, um für die Rückfahrt zum Revier etwas Reiseproviant zu haben. Das hätte Vega jetzt imponiert, dachte Maria.
»Als das Polizeirevier neu gestrichen war, war es knallblau, wie Kupfersulfat, es leuchtete fast von selbst. Aber jetzt ist es etwas verblaßt, genau wie ich«, sagte Trygvesson und fuhr sich mit der Hand über den rasierten Schädel. »Nichts ist mehr wie früher. Es gibt keinen Respekt mehr. Die verdammten Auszubildenden nehmen sich ganz schön was heraus.«
»Man kann sie aber auch als Chance begreifen«, sagte Maria und hielt Trygvessons wütendem Blick stand. »Sie sind, was die Gesetze angeht, oft auf einem neueren Stand als wir. Man kann voneinander lernen.«
»Schwachsinn«, sagte Trygvesson und spuckte auf den Bürgersteig.
11
Sie konnten die Autoschlange schon aus weiter Entfernung erkennen, wie ein großes Reptil schlängelte sie sich am orangegelben Licht der Baustellenlampen vorbei. Kurz vor der Baustelle mußte man stehenbleiben, dann wurden die Autos von der Gegenseite durchgelassen. Zwei Männer in Warnwesten rollten ein Glasfasertuch aus.
»Muß man denn unbedingt mitten in der Touristensaison die Straße erneuern?« brummte Arvidsson und schloß das Fenster, damit die Dieselabgase nicht ins Auto drangen.
»Wenn wir hier schon sitzen und warten, könnten wir doch gleich mal kontrollieren, ob sie auch keinen Rapsdiesel im Tank haben.« Ohne eine Antwort abzuwarten, stieg Ek aus dem Wagen, und Arvidsson stöhnte laut. Es war eine bekannte Tatsache und manchmal eine Quälerei, daß Ek es nicht ausstehen konnte, wenn es nichts zu tun gab. In diesem Augenblick wünschte sich Arvidsson einen anderen Partner. Es war heiß, die Nacht war kurz gewesen, und er hätte sich gern mental auf das Zusammentreffen mit Mona Jacobsson vorbereitet.
»Ich bleibe hier.« Arvidsson sah, wie Ek zum Bagger ging, gestikulierte und seinen Dienstausweis zeigte. Der Verkehr aus der Gegenrichtung wurde spärlicher. Motoren brummten, jemand hupte. Arvidsson fluchte im stillen und fuhr rechts heran.
»Es war Raps!«
»Wirklich?« Arvidsson machte einen Ansatz, aus dem Auto auszusteigen.
»Aber okay. Offizieller Biodiesel.«
»Klasse.«
»Der Typ, der den Bagger fährt, wohnt neben der Frau in Eksta, wo wir hinwollen.«
»Und?«
»Er hat es mir erzählt, als ich nach dem Weg gefragt habe.«
Mit wachsendem Ärger fuhr Arvidsson weiter auf der Küstenstraße nach Eksta. Die plötzlichen Vollbremsungen der anderen Verkehrsteilnehmer, wenn Schilder mit der Aufschrift »Honig« oder »Flohmarkt« auftauchten, trugen nicht zur Verbesserung seiner Laune bei. Auf die Bremse, Lenkrad nach links herumgerissen, und wenn man Glück hatte, ein kurzes Blinken am Ende des Manövers.
»Touristen!« zeterte Arvidsson wütend. Ek lachte.
Mona Jacobsson zog die Kanne vom Herd und ließ den Kaffeesatz nach unten sinken. Sie war dankbar für jede Sekunde, in der sie das Gesicht zur Wand gedreht lassen konnte und sich nicht dem Blick der ernst und forschend dreinschauenden Polizisten aussetzen mußte. Die Zahlen auf dem Küchenkalender tanzten wie Fliegen um das Datum herum, das dieser Tag trug. Sie würde es nie vergessen. Das Bild des Monats war Olov in voller Rüstung zu
Weitere Kostenlose Bücher