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Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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sah ihn zusammengesunken auf der Fußmatte liegen. Ein weiterer Schlag mit dem Schürhaken traf seinen grauen Kopf.
    Sie mußte geschrieen haben. Hinterher erinnerte sie sich nicht mehr genau, alles geschah so schnell. Der Schrei im Kopf war so groß, vielleicht drang er nach draußen. Die Beine waren unter ihr zusammengesackt, als sie hätte weglaufen sollen. Jetzt war sie zur Mittäterin geworden. Zusammen sahen sie das Leben aus dem runden rosigen Gesicht weichen. Ungerührt sahen sie zu, wie es geschah. So greifbar und gleichzeitig unwirklich zu sehen, wie das Leben aus einem wohlbekannten Menschenkörper entwich. Ein Mensch, der eben noch geredet und seine Hände gebraucht hatte. Mona hatte in ihrer Arbeit Hunderte von Malen den Tod kommen sehen, als ein unvermeidlicher Teil des Lebens und manchmal als Befreier. Doch niemals in dieser Gestalt.
    »Ich wollte ihn nicht töten!« Er drehte ihr Gesicht nach oben, sah, wie sich seine eigene Angst in ihrem Blick spiegelte. Als sie nicht antwortete, nahm er sie bei den Schultern und schüttelte sie. Sie schluckte und versuchte etwas zu sagen. Die Gedanken schwollen an und wurden zu groß für die Worte.
    »Nein«, flüsterte sie. »Nein.«
    Ihr eigener Gedanke war wie das Pendel der Schlafzimmeruhr im Augenblick des Todes stehengeblieben. Ein wiederkehrender Traum. Wer die Kraft besitzt, lenkt die Zeit. Sie hatte die Mordwaffe in die Hand bekommen. »Wirf den Schürhaken ins Wasser«, hatte er gesagt. Wenn sie es gewagt hätte, hätte sie in der Dunkelheit auf den Steg hinausgehen müssen, aber die Beine wollten ihr nicht mehr gehorchen als die Gedanken. Sie blieb allein draußen bei den Netzen stehen, wie ein bebender Schatten unter einem übermächtigen Sternenhimmel.
    Anselms Fahrrad lehnte an der Wand des Häuschens. Unter dem Sattel befand sich eine Werkzeugkiste. Dort hinein steckte sie den Schürhaken und spannte den Lederriemen wieder fest. Die Kiste paßte ganz genau. Die Hände führten die Arbeit wie von selbst aus. Dann kam er hinaus, nahm das Fahrrad und fuhr, noch ehe sie nachdenken konnte, nach Hause, um Wilhelms Opel zu holen. Vielleicht hätte sie ihm sagen sollen, was sie mit dem Schürhaken gemacht hatte, aber sie wagte es nicht. In seinen Bewegungen war eine große Wut.
    Sie schleppte sich willenlos mit der Last eines Menschenkörpers über den dunklen Hof mit den Netzen. Sie stolperte über Büschel von welkendem Natternkopf und spürte, wie ihre Arme langsam unter dem Gewicht der kräftigen Schenkel des Toten abstarben. Seine Stiefel scheuerten an ihrer Hüfte. Schritt für Schritt rieben und schabten sie durch den dünnen Stoff. Sie spürte den Geschmack von Metall im Mund. Der Mann, der die Kraft besaß, ging vorweg und trug den Toten unter den Achseln. Sie stolperten den Weg zum Auto hinauf und warfen das Opfer wie ein schweres Bündel in den Kofferraum seines eigenen Autos.
    »Du fährst.« Er legte sich vor dem Rücksitz auf den Fußboden. Ihr Körper gehorchte automatisch, die rechte Hand legte den Gang ein. Die linke Hand zitterte auf dem Lenkrad, zitterte wie der restliche Körper von der Kälte, die von innen kam. Sie verließen den Fischereianleger in Eksta und fuhren die Küstenstraße zur Stadt entlang. Nicht nur Angst und Handlungsunfähigkeit machten sie zur Mittäterin, sondern auch Liebe. Und dennoch erstaunte es sie, daß er das für so selbstverständlich nahm, daß er ganz klar damit rechnete, daß sie seine Schuld mittragen würde.

    Sie konnte im Dunkeln nur schlecht sehen. Die Brille lag noch auf der Fernsehzeitung neben der Fernbedienung und der leeren Tüte mit Süßigkeiten. Wie in einer anderen Zeit, in der noch nichts geschehen war. Sie konnte immer noch den salzigen Geschmack von Lakritz in ihrem Mund verspüren. Wenn sie nun in denselben Raum zurückkehrte, dann wäre alles unverändert und doch grundsätzlich anders. Durch das Schreckliche war sie selbst eine andere geworden. Wenn es einen guten Film im Fernsehen gegeben hätte, dann wäre sie nicht zum Strand gegangen. Dann hätte sie um diese Zeit in ihrem Bett gelegen, den Wecker gestellt und das Licht gelöscht. Das Seltsamste war, daß sie sogar ein Gefühl der Lust beschlichen hatte, eine Wärme in ihrem Schoß, als sie am Weggraben gestanden und die Löwenmäulchen angeschaut hatte.
    Gerade erst. Wie seltsam! Wie hatte sie wieder von den Stelldicheins gelockt werden können, die doch in Entdeckung und Scham geendet hatten? Jetzt, im Dunkel des Autos, unter der

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