Tod im Jungfernturm
darüber nachdenken kann, anstatt auf der Pflegestation vor sich hinzudämmern. Aber man hat ja keine Wahl. Was gibt’s Neues?« fragte Hartman.
»Das Auto des Opfers, der weiße Opel, weist Blutspuren im Kofferraum auf. Nur ein paar Spritzer. Die Blutgruppe ist A, Rhesus positiv, und stimmt mit der des kleinen Fingers überein. Sicherheitshalber sind die Proben zur DNA-Analyse geschickt worden«, sagte Trygvesson.
»Wenn Wilhelm Jacobsson beim Wehrdienst war, dann müßte auf seiner Marke stehen, welche Blutgruppe er hatte. Aber jetzt, da wir die Leiche haben, müssen wir die Frau nicht mehr danach fragen.« Hartman wand sich unangenehm berührt.
»Ich muß an die Feldübung denken, zu der er wollte«, meinte Maria. »Die Landwehrleute haben doch ihre eigenen Gewehre, die sie zu Hause aufbewahren. Müßte er nicht zumindest ein Mausergewehr oder ein AK4 im Auto haben?«
»Im Auto waren keine Waffen«, sagte Trygvesson und rieb sich das Kinn, so daß die Bartstoppeln rasselten. »Sie haben jedenfalls ein AK4, wenn sie nicht gerade Gruppenbefehlshaber sind.«
»Könnte er ermordet worden sein, weil jemand an seine Waffe wollte? Wer wußte denn, daß er sie im Auto hat?« fragte Hartman.
»Andere von der Landwehr, aber die haben ja dieselbe Ausrüstung. Die Familie. Aber das ist kaum wahrscheinlich, denn die Familienmitglieder können schließlich reingehen und sich, wann immer sie wollen, die Waffe holen. Und wo man das Magazin aufbewahrt, pflegt innerhalb der Familie kein großes Geheimnis zu sein«, sagte Maria.
»Was könnte denn sonst noch sein? Ob er einen unbekannten Anhalter mitgenommen hat? Saß vielleicht schon, bevor er wegfuhr, jemand im Auto und wartete auf ihn? Seine Frau sagt, er habe das Haus gegen halb sechs verlassen. Trygvesson, kommen Sie mit, um mit Mona Jacobsson zu reden?«
»Nein, das schaffe ich heute vormittag nicht. Ich muß wegen eines anderen Falles mit dem Staatsanwalt reden, und das wird eine Weile in Anspruch nehmen.«
»Ich habe einen Zeugen von derselben Landwehrgruppe, Anders Öhrn, der sollte die Leiche identifizieren, ehe wir zu der Witwe nach Hause fahren«, sagte Maria.
Trygvesson sah bekümmert aus. »Mir kommt es etwas unpassend vor, eine Todesnachricht zu überbringen und im nächsten Moment darum zu bitten, mal eben einen Blick in den Schrank werfen zu dürfen. Wir sollten mit der Hausdurchsuchung noch warten«, sagte er.
»Wir können uns ja bei unserem Besuch ein wenig umsehen und uns später noch mal darüber unterhalten«, meinte Hartman.
27
Mona trat im Schlaf die Decke von den Füßen. Im Traum fuhr sie den weißen Opel zum Hafen hinunter. Neben ihr auf dem Beifahrersitz lag das AK4 von Wilhelm. Sie mußte es wegschaffen, ehe es sich in eine Schlange verwandelte. Wenn es ihr nur gelang, das Ding loszuwerden, dann würde sie sich um nichts mehr Sorgen machen müssen. Am besten vergrub sie es im Steinhaufen, denn da gehörte es hin. Dann würde sie ausruhen können.
Sie mußte nicht rasen, denn das Auto bewegte sich von selbst in immer schnellerem Tempo vorwärts. Es war Nacht. Die Herbststürme zerrten an den Baumkronen. Am Meer schlugen wilde Wassermassen an den Pier. Der weiße Schaum der Wellenkronen wurde im Licht vom Fähranleger eingefangen. Sie wich einem Fahrradfahrer aus und bremste. Sein Gesicht kam ihr bekannt vor, aber sie wußte nicht, wo sie es einordnen sollte. Sie versuchte, sein Gesicht im Rückspiegel einzufangen, und war zuerst geblendet. Dann sah sie ihn. Die Augenhöhlen waren schwarze Löcher. Er weilte nicht mehr unter den Lebenden. Mona schloß im Traum die Autotür reflexhaft von innen. Das Auto raste den Hügel hinunter und am Fährterminal vorbei. Am Straßenrand stand eine Gruppe Menschen, gesichtslose Silhouetten. Aus der dunklen Ecke beim Restaurant löste sich ein grauer Schatten. Wilhelm trat auf die Straße. Direkt vor das Auto. Mona versuchte zu bremsen, aber die Bremsen griffen nicht. Einen schrecklichen Augenblick lang sah sie in sein Gesicht. Wilhelm schien die ganze Frontscheibe auszufüllen, ehe sie direkt durch ihn hindurchfuhr.
Das Entsetzen schraubte sich wie eine Spirale durch ihren Körper und ließ die Hände, die das Steuerrad hielten, erlahmen. Der Südostwind drückte das Auto auf den Kai zu. Sie versuchte, die Handbremse zu ziehen, aber die entwand sich und wurde zum Schwanz einer Schlange, welche sich mit der Waffe auf dem Boden des Wagens zusammenrollte. Mona unternahm eine letzte Anstrengung, das Steuer
Weitere Kostenlose Bücher