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Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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der feuchten Luft hingen: Thymian, Erde und Wiesenblumen. Sie ließ gern ihren Blick auf der Wiese mit Haselnuß- und Wacholderbüschen ruhen. Die Vielfalt der verschiedenen Grüntöne faszinierte sie, und die großen Steine im Gras sahen aus wie schlafende Schafe mit zottigen Rücken.
    Mona trieb die Tiere zum Stall und bemerkte, daß die Bergkuh Klara ganz hinten im Gehölz stand und sich von den anderen entfernte. Sie war trächtig und sollte jederzeit kalben. Jetzt war es offensichtlich soweit.
    Nachdem Mona den Stall fertiggemacht hatte, ging sie die Treppe hinauf, um nach dem Vater zu sehen. Anselm lag auf der Seite, das Gesicht zur Wand gedreht. Der Boden war mit Kautabaktütchen bedeckt, man mußte aufpassen, wohin man den Fuß setzte. Seit er nach oben gezogen war, hatte er keinen Teppich. Mona beugte sich vor, um sein Gesicht zu sehen. Jetzt gerade sah er ganz harmlos aus. Die Decke hatte er beiseite geworfen. Er schlief in seinem Netzunterhemd und weigerte sich, es auszuziehen. Jetzt schmatzte er ein wenig. Wie wohl seine Träume aussahen, wenn sie nicht vom Winterkrieg handelten? Ob Mutter ihn manchmal des Nachts besuchte? Vielleicht war sein Gewissen so abgestumpft und vom Alkohol betäubt, daß es nicht mehr aufnehmen konnte als die ganz grundlegenden Sachen: Hunger, Durst und den Seewetterbericht.
    Wenn er auch nur die kleinste Andeutung über Wilhelms Verschwinden machte, dann würde sie sich erdreisten, nach der Mutter zu fragen. Ja, das würde sie, obwohl der Name Maj, solange Mona denken konnte, tabu war. Warum hat sie sich umgebracht, Anselm? Was hast du ihr angetan? Erinnerst du dich an das Mädchen, das nach dem ersten Schultag nach Hause kam und von all dem Neuen, was es erlebt hatte, erzählen wollte? Wie es neben seine Mutter ins Doppelbett kroch, aber keine Antwort erhielt? Wo warst du da? Wo warst du, als es die Kälte und den Tod entdeckte? Als das Pendel der Zeit stillstand?

    Mona stellte einen Fuß auf den Hocker im Badezimmer und betrachtete ihr Bein im Licht der Neonröhre, die über dem Spiegel hing. Durch die Schwellung konnte sie kaum mehr das Knie beugen. Sie hatte alles für die Operation bereitgelegt: Skalpell, Alkohol, Watte, Kompressen, Nadel und Faden. Im Sterilschrank war gerade kein chirurgisches Nahtmaterial gewesen und auch keine Nadel, deshalb mußten jetzt gewöhnlicher Zwirn und eine dickere Nadel genügen. Sie wog das Skalpell in ihrer rechten Hand und ließ das Schneideblatt über die andere Handfläche gleiten, bis sich eine kleine blutende Schramme bildete. Die häßliche Narbe vom letzten Mal war immer noch zu sehen, obwohl das nun schon mehr als dreißig Jahre her war.
    Svea hatte sie damals in ihrem Versteck hinter dem verlassenen Schuppen gefunden. Sie sagte, sie habe gespürt, daß mit Mona etwas nicht in Ordnung gewesen sei, als sie Arne bei ihr abgegeben habe – ein Abschied, der sich in die Länge gezogen hatte, eine neue Art der Entschlossenheit. Svea hatte das Kind mitgebracht. Arne hatte gewußt, wo der Waldkönig seinen grünen Saal hatte und wo das verzauberte Schloß lag, das auf den ersten Blick wie eine verfallene Scheune aussah. Mona hatte viel Blut verloren, hatte gesehen, wie das Leben aus ihr herausgelaufen war und den Boden bereichert hatte. Sie konnte nicht einmal aufstehen und wegrennen. Svea hatte sich einen Nylonstrumpf ausgezogen und einen Druckverband angelegt.
    Mona hatte sich geweigert, ins Krankenhaus zu fahren. Sie hatte es nicht einmal Svea erzählen können. Die konnte glauben, was sie wollte. Wie hätte sie das auch erklären sollen? Es war wie mit dem Geld, das Mona Anselm gestohlen hatte, um Bonbons zu kaufen, sie bezahlte einen sehr hohen Preis, um sichtbar zu sein.
    Ihre Brust hatte sich von Mückenstichen zu einem aufsehenerregend vollen Busen entwickelt. Die Hüften hatten eine neue Rundheit, und plötzlich hatte sie noch etwas anderes, wozu sie einladen konnte. Arne war der Beweis dafür, daß man sich bedienen durfte. Mona war nicht zimperlich, das war die allgemeine Meinung. Sie spürte die Hände auf ihrem Körper, verschwitzt und zögernd, dann immer fordernder. Vor glänzenden Augen zog sie sich aus und zeigte ihren Busen. Sie ließ es geschehen, für einen Augenblick der Wärme und Anerkennung. Ohne sich verteidigen zu können, sah sie, wie dann vielsagende Blicke getauscht wurden, wie man die Augen verdrehte. Hinter ihrem Rücken wurde geflüstert und getratscht, angedeutet, und nur selten wurde es laut

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