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Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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ausgesprochen: Hure, Nutte und Luder.
    Es hatte ein Fest bei Henrik gegeben, als seine Eltern auf dem Festland waren. Die Jungenclique wollte ihr im Heuschober etwas zeigen, und Mona ließ sich widerwillig überreden. Henrik blieb mit zwei Mädchen, die in Visby auf das Gymnasium gingen, in der Küche. Sie waren mitten in einer heißen Diskussion über die Vor- und Nachteile der Kernkraft. Mona hatte einiges getrunken, vom Selbstgebrannten gab es immer genug. Sie hatte gehofft, daß Henrik mit ihr reden würde. Er war nicht wie die anderen, und das erschreckte und lockte sie gleichzeitig. In ihrer Phantasie hatten sie schon vertraulich miteinander gesprochen, er hatte seine Hand auf ihren Arm gelegt und sich neben sie gestellt, um die anderen aus dem Gespräch auszuschließen. Ihr Mund war von Wissen und Weisheit übergeflossen. In ihren Tagträumen hatte sie Bewunderung und Respekt in seinem Gesicht gelesen.
    Die Wirklichkeit sah anders aus.
    Als sie in der Tür stehengeblieben war, war Wilhelm von hinten gekommen, hatte sie an die Brust gefaßt und mitgenommen. Warum auch nicht? Was hatte sie schon zur Kernkraft zu sagen? Die Gedanken wurden im Alkohol träge. Zu spät sah sie ihre grinsenden Gesichter, zu spät begriff sie, was da oben im Heu passieren sollte. Und so betrunken, wie sie war, hätten sie nicht einmal ihre Arme festhalten müssen. Verschwitzte, aufgeregte Gesichter flimmerten vorbei. Die Stöße gingen durch ihren Körper, ohne daß sie dem etwas hätte entgegensetzen können. Stimmen im Hintergrund murmelten, lachten, hallten in einem verschwommenen Nebel aus Schmerz und Schwere wider, ehe die Dunkelheit kam.
    Henrik war es gewesen, der sie am Morgen halb bewußtlos im Heu fand. Vollgekotzt. Sie hatte sich auf ihre weiße Bluse und den neuen Rock erbrochen. Sie wollte nicht, daß er sie sah, kroch vor Scham in sich zusammen und verbarg ihr Gesicht in den Armen.
    Er hatte sich eine Weile neben sie gesetzt und geredet, ohne sie anzurühren. Dann hatte er ihr die Leiter heruntergeholfen. Die Kopfschmerzen waren schrecklich gewesen, und der Schwindel hatte ihre Schritte unsicher gemacht. Schritt für Schritt, Sprosse für Sprosse stützte er sie vom Heuboden bis unten. Es brannte zwischen ihren Beinen. Er tat so, als würde er das Klebrige nicht sehen, das ihre Schenkel hinunterlief. Aber einen Moment lang sah sie den Zorn in seinem Gesicht, ehe ihr schwarz vor Augen wurde und sie auf dem Zementboden zusammensank.
    Nach und nach hatte er es geschafft, sie über den Hof zum Badezimmer zu bringen. Sie hatte die Tür hinter sich zugeschlossen und ihr ekliges Gesicht im Spiegel angestarrt, hatte einfach losschreien wollen und sich schon da gewünscht zu sterben. Aber so leicht kommt man nicht davon. Sie hatte beim Erbrechen auch die Pille ausgespuckt und war schwanger geworden.
    Einige Jahre später mußte sie im Laden mitanhören, daß sie gelost hatten. Wilhelm hatte die Niete gezogen und die Vaterschaft auf sich genommen. »Ich werde die Dorfhure heiraten«, hatte er allen verkündet, die es hören wollten oder auch nicht. Einige Jahre lang wagte sie nicht, Henrik in die Augen zu schauen. Sie machte Umwege, um ihm nicht zu begegnen. Mit Wilhelm war es anders, denn sie waren vom selben Schrot und Korn. In seiner Gegenwart war die Schande nicht so groß. Manchmal schlug er sie. Mona fand das leichter auszuhalten als Mitleid oder das Gefühl, nichts wert zu sein.
    Und dann hatte Henrik den Nachbarhof gekauft. Er hatte sie zusammen mit den anderen Nachbarn eingeladen, beim ihm fernzusehen. Als ob es gar keine Schande gäbe. Das war das Erstaunliche an Henrik.

    Mona ließ das Skalpell los. Es fiel auf den Hocker und dann weiter auf den Fußboden. Es dauerte einen Augenblick, bis sie es hochnahm und sich ins Bein schnitt. Es gab eine häßlich klaffende Wunde, die allerdings weniger blutete, als sie angenommen hatte. Das Schlangengift hatte sie sich wie eine gelbe Flüssigkeit vorgestellt, ein Gift, das man loswerden konnte. Früher hatte man die Bißstelle ausgesaugt, aber das war nicht gerade vernünftig, wo man doch so viele Bakterien in der Mundhöhle hatte, dachte Mona und fädelte den Zwirn auf die Nadel. Ohne die Brille konnte sie nur schlecht sehen, und die lag immer noch drinnen beim Fernseher. Es war, als könnte sie sie nicht anfassen, als könnte sie an nichts rühren, was mit dem Abend zu tun hatte, an dem Wilhelm starb. Ihre Kleidung hatte sie im Heizofen verbrannt: das Kleid, die Strickjacke,

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