Tod im Koog - Hinterm-Deich-Krimi
Prozess
schwierig werden, dem Täter nachzuweisen, dass das Opfer sich nicht freiwillig
in diese Situation begeben hatte. Sehr oft mussten die Frauen weitere Leiden
und auch Demütigungen ertragen, wenn vor Gericht hinterfragt wurde, ob sie
nicht zumindest eine Teilschuld an der Straftat tragen würden. Der nächste
Besucher wurde angekündigt und unterbrach den Dialog der beiden Beamten.
Christoph stand auf, ging Frode Hansen entgegen und schüttelte dem
Pastor die Hand.
»Herr Hansen, schön, dass wir uns einmal wiedersehen, auch wenn ich
mir gewünscht hätte, dass es andere Umstände gewesen wären.«
»Sie sind meiner Einladung ja nie nachgekommen, uns mit Ihrer Partnerin
in Bredstedt zu besuchen«, entgegnete Hansen. »Ich soll übrigens auch von
meiner Frau viele Grüße ausrichten.«
»Ab nächstem Freitag dürfen Sie sagen, dass Sie den Ersten
Hauptkommissar und seine Frau einladen«, gab Große
Jäger voreilig zum Besten.
»Sie wollen heiraten?« Frode Hansen war sichtlich erfreut und fragte
nach Ort und Datum.
»Gratuliere«, sagte er später. »Und nun widmen wir uns den
unerfreulichen Dingen.«
Christoph stellte die Fragen, die er auch schon den anderen Zeugen
vorgetragen hatte.
»Ich bin zufällig dort gewesen, weil mein Freund, der Propst,
verhindert war. Mit Ausnahme des Husumer Bürgermeisters Kirchner kannte ich
niemanden. Ich kann auch nicht behaupten, dass ich bisher etwas versäumt habe.«
»Es geht uns im Wesentlichen um die Frauen und wie sich die
männlichen Anwesenden ihnen gegenüber verhalten haben.«
»Die haben mir leidgetan«, sagte Hansen nach kurzem Nachdenken. »Es
war ausgesprochen unschön, wie die behandelt wurden. Da waren zum einen die
Arbeiter, die schon relativ früh betrunken waren. Ich habe mich zum Beispiel
mit Schwester Heike unterhalten, als sie einer quer durch den Garten als
›Sexbombe‹ titulierte und unverblümt aufforderte, sie solle zu den Leuten
herüberkommen. Wie war das noch gleich?« Hansen legte die Stirn in Falten. »Das
war ein Jüngerer. Der meinte, sie würden es so richtig krachen lassen. Der
machte eindeutige Angebote etwa der Art, dass die Bauarbeiter es verdient
hätten, na, Sie wissen schon …«, umschrieb Hansen das Gesagte. »Es wurden
auch Schmähreden auf die anderen Gäste gehalten. Dabei fielen Worte wie
›Langweiler‹, ›Kragenproleten‹ und dass der Pfaffe Schwester Heike sexuell
nicht befriedigen könne.« Frode Hansen schüttelte sich, als müsse er böse
Erinnerungen vertreiben.
»Wie hat Schwester Heike darauf reagiert?«, fragte Christoph.
»Sie war sichtlich verlegen. Es war ihr unangenehm. Ich hatte den
Eindruck, dass sie nur um des lieben Friedens willen geschwiegen hat. Das war
aber noch nicht alles. Später hat sich der Architekt an sie herangemacht. Er ist
ihr auf unangenehme Weise nahe gekommen und wollte sie zu Champagner nach der
Veranstaltung einladen. Ein richtiger Angeber.« Hansen sah Christoph an. »Sie
verzeihen, wenn ich hier freimütig meine Meinung kundtue. Aber der Architekt
ist dann auch von Dr. Kuslmair zurechtgewiesen worden. Der Monsignore hat
de Frontier vorgeworfen, dass er seine Leute nicht mehr im Griff hätte. Der
Architekt hat energisch bestritten, dass er etwas mit den pöbelnden Arbeitern
zu tun habe, und daraufhin versucht, Erkundigungen über die blonde
Krankenschwester …«
»Schwester Elena …«, warf Christoph ein.
»Richtig. Ich hatte es nicht mitbekommen, aber die muss irgendwann
ins Haus gegangen sein. Schwester Heike jedenfalls warf dem Architekten vor,
dass er ihrer Kollegin nachgeschlichen sei.«
»Mir scheint, als wären die Frauen von vielen Gästen als Freiwild
angesehen worden«, sagte Christoph.
»Ich teile Ihre Auffassung.« Frode Hansen nickte ernst. »Ja, das
könnte man so sagen. Auch der Arzt hat sich nicht zurückgehalten. Er hat es auf
eine ganz andere Weise versucht, indem er Vertraulichkeit vortäuschte und seine
Hand auf Schwester Heikes Arm legte, die sie aber sofort abgeschüttelt hat.«
Der Pastor hob den Zeigefinger. »Noch etwas. Da war noch ein unangenehmer
Mensch von der Kreisverwaltung. Der war auch eine Zeit lang verschwunden. Wer
war das noch gleich? Der Architekt, der meinte, dieser Verwaltungsmensch wäre
zu den Schwestern ins Haus verschwunden. Mir reichte das. Anscheinend glauben
viele Leute, dass solche Veranstaltungen ebenso wie Betriebsfeste ein
Marktplatz für lüsterne Männer sind. Ich bin dann gegangen.«
»Wann war das?«, fragte
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