Tod im Koog - Hinterm-Deich-Krimi
sich,
dass das Opfer von ihm ins Krankenhaus begleitet worden war.
»Ich bin der Freund«, sagte der Mann und nagte an seiner Unterlippe.
»Kommen Sie.« Christoph fasste den jungen Mann vorsichtig am Ärmel
des Pullovers und zog ihn sanft von der Stelle. »Lassen Sie uns ein paar
Schritte gehen.« Er hoffte, durch die Bewegung ein wenig von der inneren
Spannung abbauen zu können, unter der der Mann litt.
»Sie heißen?«, fragte Christoph und versuchte, es beiläufig klingen
zu lassen.
»Piepgras. Wilken Piepgras.«
»Sie wohnen in Husum?«
»In der Matthias-Claudius-Straße, ein Stück hinter dem Kreisverkehr
Richtung Kaserne. Das sind so rote Häuser, die quer zur Straße stehen.«
Die ausführliche Erklärung war überflüssig. Natürlich kannte
Christoph die Häuser. Er ließ ihn aber gewähren. Damit konnte sich der Mann ein
wenig Luft verschaffen.
»Sie leben dort mit Ihrer Partnerin?«, fuhr Christoph fort.
»Elena und Mitica wohnen in der Hebbelstraße. Die geht von der
Woldsenstraße quer rüber zur Klaus-Groth-Straße«, erklärte Piepgras
umständlich. »Das ist in der Nähe des AWO -Kindergartens.
In den geht Mitica.«
»Das ist Elenas Tochter?«, fragte Christoph behutsam weiter.
Piepgras unterbrach die Wanderung über den langen Krankenhausflur
und sah Christoph an. »Der Sohn«, erklärte er. »Mitica ist ein Jungenname. Das
ist rumänisch.«
»Dann stammt Elena auch aus Rumänien?«
»Ja. Aus Oradea. Das ist eine Großstadt nahe der ungarischen
Grenze.«
»Elena heißt mit Zunamen?«
»Elena Petrescu.«
Sie hatten ihre Wanderung über den Krankenhausflur wieder
aufgenommen.
»Erzählen Sie mir etwas mehr über Elena«, bat Christoph.
»Sie ist eine wunderbare Frau«, begann Piepgras. »Wir kennen uns
jetzt zwei Jahre. Ich bin Rettungsassistent beim Kreis Nordfriesland. Elena ist
Krankenschwester. So haben wir uns kennengelernt.«
»Sie wohnen aber nicht zusammen?«
»Nein. Noch haben wir jeder unsere eigene Wohnung. Noch«, betonte
der junge Mann. »Aber irgendwann werden wir zusammenziehen. Hoffentlich«, schob
er bedächtig nach und zeigte mit dem Daumen über die Schulter in Richtung des
Krankenzimmers. »So ein Verbrechen zerstört ein ganzes Leben.«
Sie gingen still ein paar Schritte bis zum Ende des Gangs und
drehten um.
»Elena ist vor vier Jahren nach Deutschland gekommen.«
»Warum?«, fragte Christoph.
»Warum? Warum?« Piepgras klang zornig. »Ist das immer so wichtig,
nach dem Grund zu fragen? Ihre Beziehung in Rumänien war zerbrochen. Miticas
Vater hat sie sitzen lassen. Sie wollte ein grundlegend neues Leben beginnen.
So ist sie nach Tönning gekommen und hat dort in der Klinik eine Anstellung
gefunden. Die sind doch froh hier, wenn sie dumme und billige Pflegekräfte aus
dem Osten bekommen können«, verfiel Piepgras in heftiges Schimpfen. »Die
Einheimischen sind doch kaum noch bereit, für den Hungerlohn die schwere Arbeit
in den Pflegeberufen zu verrichten.«
»Ist Elena geschieden?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Sie war nie verheiratet.«
»Hat Elena den Job in Tönning aufgegeben?«
»Es war immer ein Drahtseilakt. Ich habe ja auch den steten Wechsel
zwischen Tag- und Nachtschicht. Und Elena hat hier keine Angehörigen. So musste
sie sich immer etwas einfallen lassen, um jemanden zu finden, der Mitica
betreut. Natürlich wäre es für sie einfacher gewesen, von Hartz IV zu leben. Aber sie wollte unbedingt ihren
Lebensunterhalt selbst bestreiten. So hat sie das Angebot in der ›Kurklinik Am
Wattenmeer‹ angenommen und dort vor drei Wochen begonnen. Das war eine harte
Zeit – diese drei Wochen. Das Personal hat bis zum Umfallen geschuftet, um
rechtzeitig zur Eröffnung fertig zu werden. Es hatte an allen Ecken und Kanten
gemangelt. Ja, und gestern Abend war dann die feierliche Eröffnung. Da waren
all die da, die nichts, aber überhaupt nichts dazu beigetragen haben, dass
alles geklappt hat, und die haben sich gegenseitig auf die Schulter geklopft,
was für tolle Typen sie doch sind.«
Piepgras schwieg und presste die Lippen zu einem schmalen Strich
zusammen. Christoph ließ ihm Zeit.
»Elena ist kurz vor Mitternacht nach Hause gekommen. Sie hat mich
heute Nacht gegen vier angerufen. Ich habe sie zunächst überhaupt nicht
verstehen können. Sie hat nur geweint und geschluchzt. Ich bin sofort zu ihr.
Ich habe einen Schlüssel für die Wohnung«, schob Piepgras ein. »Sie lag auf
ihrem Bett und hat nur geheult. Ein richtiges Häufchen
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