Tod im Koog - Hinterm-Deich-Krimi
an meiner Brust zu merken, gegen die
sie sich drückte. Ich fasste vorsichtig ihren Nacken und versuchte ihr Gesicht
so zu drehen, dass ich sie ansehen konnte. Sie hatte aufgehört zu weinen und
sah mich aus tränenverschleierten Augen an. Ihren Kopf ließ sie sanft in meine
Hand fallen. Und dann …«
Kirchner hob seine Hände, als würde er vor einer Gemeinde stehen und
den Segen aussprechen wollen. Es sollte eine Geste der Hilflosigkeit sein.
Vielleicht war es auch eine. Auf Christoph wirkte das Geständnis des Mannes
nicht einstudiert, obwohl er durch seine politische Tätigkeit die
Selbstdarstellung sicher besser beherrschte als andere Menschen.
»Wie ging es weiter?«, musste Christoph ihn auffordern, nachdem der
Bürgermeister schwieg.
»Wie ging es weiter?«, wiederholte Kirchner. Er benötigte einen
Aufhänger für die Fortsetzung. »Plötzlich haben wir uns geküsst. Ganz
automatisch.«
»Schwester Heike hasste Raucher. Das haben mehrere Zeugen bestätigt.
Wie kommt es, dass Sie sich geküsst haben, obwohl die Frau eine wahre Aversion
gegen Nikotin hatte?« Christoph konnte seine kritische Haltung gegenüber
Kirchners Schilderung nicht länger verbergen.
Der Bürgermeister sah die Beamten ratlos an. »Das weiß ich nicht.
Davon habe ich nichts mitbekommen. Nachdem sich unsere Lippen sehr zaghaft
gefunden hatten, hing Schwester Heike fast gierig an meinem Mund. Immer wieder
suchte ihre Zunge die meine. Ich hatte stellenweise Probleme, Luft zu holen, so
leidenschaftlich küsste sie.«
»Und aus dem Kuss hat sich die folgende Intimität entwickelt?«
»Das ging ganz von allein. Ich weiß nicht mehr, wie, aber das war
ein Automatismus.«
»Sie haben die Kontrolle über sich verloren.«
»Nicht ich. Doch, schon. Aber sie auch.« Kirchner war verwirrt. Er
hatte sich umgedreht und lehnte sich gegen das Fenster. Seine Augen glänzten
wie im Fieber. »Wir wollten es beide. Es war wie im Rausch.«
»Das verstehe ich nicht. Nach allem, was wir über Schwester Heike
erfahren haben, war sie gerade auf diesem Gebiet sehr willensstark. Von allen
Seiten wurde ihr untadeliges Verhalten bescheinigt.«
»Das weiß ich nicht. Ich kannte sie ja nicht. Habe sie nie vorher
gesehen. Vielleicht ist es so wie mit dem unverwundbaren Siegfried. An diesem
Abend und in dieser Situation habe ich unfreiwillig das Lindenblatt gefunden.
Und sie meines auch.«
»Und dann sind Sie in das Zimmer 17 gegangen und dort intim miteinander
geworden?«
»Welches Zimmer?« Der Bürgermeister schien den Faden verloren zu
haben.
»Eines der Zimmer, die schon für die Aufnahme der Patienten
vorbereitet waren?«
Kirchner schüttelte den Kopf. »Das ging nicht. Damit wäre alles
verflogen. Nein. Wir sind im Schwesternzimmer geblieben.«
»Sie waren nicht in einem der Räume?«
»Nein. Das ging gar nicht mehr.« Er fasste sich an den Kopf, als
würde ihm erst jetzt bewusst werden, wie ungeheuerlich die Situation war. »Wir
haben nicht einmal abgeschlossen. Da hätte jeder in das Zimmer platzen können.
Stellen Sie sich das einmal vor.«
»Wie haben Sie den Beischlaf vollzogen?«, fragte Christoph.
Kirchner begann wie ein Schuljunge an seinem Fingernagel zu
knabbern. »Muss ich das erzählen?«, fragte er schüchtern.
»Wir haben Indikationen über den Ablauf von der Rechtsmedizin.«
»Dann erübrigt sich eine Schilderung doch.«
»Uns kommt es auf die Übereinstimmung an«, beharrte Christoph. »Wir
müssen wissen, ob Sie die Wahrheit sagen.«
Der Bürgermeister kämpfte mit sich. Er holte mehrfach tief Luft und
sah mit angstvollem Blick Christoph und Große Jäger im Wechsel an. Dann sprach
er so leise, dass die beiden Beamten nichts verstanden.
»Können Sie das bitte noch einmal wiederholen?«, forderte Christoph
ihn auf.
»Wir standen ja im Raum. Dann … hat … sie …
sich … über den Schreibtisch gebeugt«, stammelte Kirchner und wischte sich
die Schweißperlen von der Stirn. Unter seinen Achselhöhlen zeichneten sich
ebenfalls große dunkle Flecken ab.
Das entsprach dem, was die Kieler Rechtsmedizin über den
mutmaßlichen Ablauf gesagt hatte. Eine weitergehende Schilderung war nicht
erforderlich.
»Sind bei Ihnen oder bei Schwester Heike während Ihres intimen
Zusammenseins Gefühle, ich meine Emotionen, entstanden?«, fragte Christoph.
»Wie meinen Sie das?«
»Haben Sie sich in die Frau verliebt?«
»Nein!« Das klang entschieden. »Ich bin glücklich verheiratet. Ich
habe zu keiner Zeit irgendwelche
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