Tod im Moseltal
Arbeitersiedlung ruhten im spätherbstlichen Dämmerschlaf. Es war eine vollkommen ruhige Atmosphäre. Hatte sie dies früher stets als etwas Besonderes genossen, bereitete es ihr heute fast körperliches Unbehagen.
Sie stellte Peters Auto vor dem Haus ab. Obwohl ihr eigenes Auto von der Kriminaltechnik längst freigegeben war, hatte sie es noch nicht abgeholt. Auch darum würde sie nicht herumkommen. Schon ihren Kindern zuliebe musste sie sich Stück für Stück vom Alltag zurückerkämpfen. Ein Kampf auch mit sich selbst.
Als sie ausstieg, sah sie gerade noch, wie im gegenüberliegenden Haus das Fenster geschlossen und die Gardine vorgezogen wurde. Sie ging die wenigen Schritte zum Haus und bemerkte, dass sich das Laub der umliegenden Bäume über den kleinen Hof verteilt hatte. Vor der Tür angelangt sah sie, was sie in den letzten Tagen völlig vergessen hatte: Post und Zeitungen.
Die Zeitungsausträgerin hatte mittlerweile einen Stapel vor der Haustür angelegt und mit einem großen Stein beschwert. Auch der Postbote hatte mitgedacht und die unzähligen Prospekte aus dem Briefkasten genommen und neben die Zeitung gelegt. Trotzdem quoll der Briefkasten fast über.
Marie hob die Reklame auf und warf sie in die große Tonne für Altpapier. Dann öffnete sie die Tür, nahm den Stapel Zeitungen und legte ihn auf den kleinen Tisch im Flur. Als Letztes leerte sie den Briefkasten.
Wie immer waren es vorwiegend Rechnungen, Angebote und sonstige geschäftliche Post, zu ihrem Erstaunen aber befanden sich auch drei »richtige« Briefe darunter. Sie legte die Rechnungen auf die Zeitungen und machte den ersten Brief im Gehen auf. Er enthielt nur ein Blatt mit einem in großen Druckbuchstaben geschriebenen Wort: »MÖRDERBANDE«.
Marie starrte sekundenlang auf das Papier, dann faltete sie es wieder zusammen und steckte es in den Umschlag zurück. Die anderen Briefe legte sie ungeöffnet zu den Rechnungen.
Sie hielt sich in ihrem ehemaligen Zuhause nicht länger als nötig auf. Fast fluchtartig stieß sie nach nicht einmal zehn Minuten rückwärts aus dem Weg auf die Straße. Im Rückspiegel nahm sie wieder die Bewegungen hinter der Gardine wahr.
*
Buhle hatte fast zwei Stunden gebraucht, bis er sich durch die neuen Ermittlungsakten gearbeitet hatte; erst gegen Mittag fühlte er sich auch in den Details wieder auf dem neuesten Stand.
Reuter klopfte an und fragte, ob er mit in die Kantine in der Südallee kommen würde. Es war lange her, dass Buhle das zum letzten Mal gefragt worden war, und es war das erste Mal überhaupt, dass er mitging. Am Gespräch zwischen den Kollegen am Essenstisch beteiligte er sich zwar nur als Zuhörer, doch keiner störte sich daran, und er fühlte sich dennoch dazugehörig.
Nachdem er zurück in der Güterstraße war, versuchte er vergeblich, telefonisch, dann per E-Mail Henri Ducard von der »Police Grand-Ducale« zu erreichen. Mit ihm hatte er in den letzten zwei Jahren maßgeblich die polizeiliche Zusammenarbeit in der Großregion vorangetrieben. Zusammen mit Kollegen aus Frankreich und Belgien saßen sie zeitweise in der gemeinsamen polizeilichen Stelle in Luxemburg. Mit Ducard, der in der Section de Recherche eine vergleichbare Funktion einnahm wie er selbst in der ZKI, hatte die Zusammenarbeit bislang hervorragend geklappt.
Aber jetzt musste er sich noch gedulden. Er nutzte die Gelegenheit, sich die Zeitungen dieser Woche durchzulesen. Seine Ablösung als Leiter der Soko war überall Thema, wurde aber in vollkommen unterschiedliche Zusammenhänge gebracht. Der Trierische Volksfreund mutmaßte, die Trierer Polizei hätte vielleicht doch ein Loch in ihren Reihen zu stopfen. Die luxemburgische LetzTalk sah Zeichen von Chaos bei der Trierer Polizei. Nach von der Police Grand-Ducale bestätigten Hinweisen sollte ein deutscher Beamter ohne vorherige Information der Kollegen des Großherzogtums auf luxemburgischem Boden ermittelt haben.
Buhle fand es erstaunlich, dass Luc Toudoux davon Wind bekommen hatte.
Ganz anders sah es die Mosella-Zeitung. Sie glaubte im Wechsel des Soko-Leiters ein sicheres Zeichen für ein nahes Ende der Ermittlungen zu erkennen. Offenbar gebe es auch bei der Trierer Kripo keine Zweifel mehr an der Schuld des Verdächtigen Thomas S., hieß es. Ansonsten wurden keine Neuigkeiten über den Mord in Avelsbach verbreitet. Lediglich die MoZ sah sich noch bemüßigt, in einem Hintergrundbericht über Schwierigkeiten bei der Finanzierung der neuen »Sunstorm« -Projekte
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