Tod im Moseltal
Bremsen in den Bahnhof ein. Auch die Baustelle schien nicht so recht voranzukommen. Aber etwas war anders, irgendetwas fehlte. Erst als ein Baufahrzeug zügig über die ziegelrote, unbefestigte Fläche zum Materiallager ratterte, fiel es ihm auf: Der Lehmhügel war weg.
Die Teamsitzung hatte schon begonnen, als er ins Besprechungszimmer trat. Er ging einmal um den diesmal als Achteck angeordneten Konferenztisch herum und gab zum Erstaunen aller Anwesenden jedem zur Begrüßung die Hand. Dann setzte er sich auf einen freien Platz neben Michael Reuter und Nikolas Steffen und schaute interessiert in die Runde.
»Schön, wir sind wieder vollständig. Der Chef hat mich noch kurz vor der Sitzung darüber informiert, dass Christian wieder mit von der Partie ist.« Unter das Grinsen in der Runde mischte sich das ein oder andere Kopfschütteln. »Wir hatten gestern eine Menge neuer Ergebnisse und Erkenntnisse. Ich werde mal zusammenfassen, damit jeder weiß, wo wir stehen.«
Das meiste hatte Buhle bereits von Gerhardts direkt erfahren. Dennoch folgte er der Besprechung aufmerksam und wortlos, insbesondere als über Thomas Steyn berichtet wurde. Er war gestern, wie an jedem Tag der Woche, verhört worden, und wie jedes Mal hatte er seine Geschichte wiederholt, ohne sich dabei in Widersprüche zu verstricken. Als er jedoch erstmals gezielt auf sein Verhältnis zu seinen Mitschülern angesprochen wurde, war neben seiner Ablehnung gegenüber dieser Zeit auch eine Veränderung in seinem Verhalten sichtbar geworden: Er wirkte nicht nur verschlossener, sondern auch unwirsch und sogar aggressiv.
*
Der vergangene Abend mit Kindern und Schwiegereltern hatte Marie zunächst gutgetan. Juliette aber wirkte erschöpft, und Marie fragte sich, ob sie ihre Schwiegermutter weiterhin so strapazieren dürfe. Auch wenn sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, war es doch spürbar, wie sehr ihr Toms Verhaftung zu schaffen machte.
Philipp von Steyn dagegen war noch aus anderen Gründen angestrengt. In seine Betriebe war Unruhe gekommen. Der neue Projektbereich der innovativen Fotovoltaiktechnik geriet zunehmend in kritisches Fahrwasser, weil Partner und Finanziers sich von den Anschuldigungen gegenüber Sohn und auch Schwiegertochter beeinflussen ließen und Zusagen aussetzten. Die Seriosität und Zuverlässigkeit der Familie von Steyn wurde nach der Berichterstattung in den Zeitungen deutlich hinterfragt. Diese bedrohlichen Entwicklungen übertrugen sich auch auf Betriebsrat und Beschäftigte, die offen eine Distanzierung des Vaters zu seinem Sohn forderten.
»Das wirst du doch wohl nicht tun!«, sagte Juliette, als die Kinder im Bett waren und sie zu dritt noch bei einer Flasche Moselriesling zusammensaßen.
Philipp von Steyn starrte lange in sein beschlagenes Glas. Ohne eine der beiden Frauen anzuschauen, antwortete er: »Wenn die Banken uns das Geld nicht geben und sich die Kooperationspartner verabschieden, haben wir keine Chance mehr. Dann sind alle … bisherigen Investitionen irrelevant, alle Projekte gestorben, alle Arbeitsplätze gefährdet. Ich habe viel gewagt, um noch einmal so weit zu kommen, zu viel, als dass ich jetzt noch scheitern darf.«
Er schwieg eine Weile und sah dann mit tiefster Resignation von Marie zu seiner Frau. »Ich habe mit dem Betriebsratsvorsitzenden Merzer vereinbart, am Montag offiziell Stellung zu beziehen. Es tut mir leid, Juliette, ich kann nicht anders.«
Mühsam stand er auf und verabschiedete sich für die Nacht. Marie nahm ihre Schwiegermutter in den Arm und verharrte, bis sie sich wieder gefangen hatte.
»Ich kann Philipp verstehen«, sagte sie behutsam. »Er hat sein ganzes Leben für seine Firmen gearbeitet, hat sich immer verantwortungsvoll gegenüber seinen Leuten gezeigt, und er ist ein guter Chef. Das habe ich immer an ihm bewundert. Ich glaube auch, dass er so handeln muss. Es nutzt Thomas nichts, wenn Philipps Firmen den Bach hinuntergehen. Und du hast gesehen, wie schwer ihm diese Entscheidung fällt.« Auch das hätte sie vor zwei Wochen nicht gedacht: Sie verteidigte Philipp tatsächlich und warb um Verständnis für seine Entscheidung.
Als Marie am nächsten Vormittag die Baltzstraße nach Avelsbach hochfuhr, um frische Kleider für sich und die Kinder aus dem Haus zu holen, schien sich ein riesiger Kloß von ihrem Hals über die Brust bis hinunter zum Magen auszubreiten. Nichts in ihr wollte das Haus noch einmal betreten. Die Gärten vor den Doppelhäusern der ehemaligen
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