Tod im Moseltal
Seitenfenster ins Wageninnere. Das Auto war tadellos aufgeräumt. Er drehte sich um und zuckte mit den Schultern.
»Nichts. Völlig leer.«
Bevor er wieder einstieg, holte er sein Handy aus der Hosentasche. »Ich lasse bei den Autovermietungen nachfragen, ob er mit einem Mietwagen unterwegs ist«, sagte er, als ob er sein Tun im Großherzogtum von nun an immer von Ducard absegnen lassen wollte.
»Lass dich nicht aufhalten. Ich werde dich jetzt noch zu deinem Auto bringen und dann ins Wochenende gehen. Morgen haben wir eine kleine Feier bei uns.«
»Gibt es einen Anlass, zu dem ich gratulieren kann?«
»Wenn du meinst, du müsstest mir dazu gratulieren, dass ich wieder ein Jahr geschafft habe, dann ja.«
21
Luxemburg; Freitag, 12. November
Seine Hände hörten erst auf zu zittern, als der norwegische Cellist seinen Einsatz in Schostakowitschs Konzert für Violoncello und Orchester hatte. Vom ersten Takt an spielte der Solist mit einer Hingabe, wie er sie bislang nur bei den wahren Virtuosen an seinem Lieblingsinstrument erlebt hatte. Vor allem im dramatischen zweiten Satz spiegelte sich in der Mimik des Skandinaviers das ganze Leid des sowjetischen Volkes zur Stalinzeit wider, das alle Werke des Komponisten prägte. Der Musiker interpretierte Schostakowitsch mit musikalischer Perfektion und russischer Seele.
Er war bereit gewesen für ein letztes, abschließendes Geschäft mit ihr. Sie hätte es dabei belassen sollen. Doch der Triumph in ihrem Blick, der sich paarte mit der tödlichen Dosis Gier, hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Ihr letzter Fehler war gewesen, dass sie beim Zählen nicht aufpasste.
Die Kuppen der schmalen Finger des Cellisten verbreiterten sich beim Druck auf die starken Metallsaiten des fast dreihundert Jahre alten Instrumentes von Domenico Montagnana wie bei Geckos, die eine Glasscheibe hochkletterten, und strahlten dabei die gleiche unerschütterliche Sicherheit fern jeglichen Fehlgriffs aus. Hatte er sich auch keinen Fehltritt erlaubt?
In der Pause verpasste er den richtigen Zeitpunkt, seinen Sekt zu trinken, weil er wie hypnotisiert dem Farbenspiel der drei in den Komplementärfarben gehaltenen Neonröhren in einer der Nischen des Foyers folgte. Als er es merkte, stellte er sein Glas mit dem mittlerweile warmen Getränk angewidert auf einem der Stehtische ab. Er wollte seinen obligatorischen Rundgang durch das säulenumrahmte Oval beginnen, hielt jedoch nach wenigen Schritten inne. Gleich hinter dem alten Mann in dem ehemals teuren Anzug, der zu Champagner und Lachshäppchen ein Gesicht machte, als stünde er kurz vor einer Koloskopie, entdeckte er die Kleine mit der Großmutter des Schweins.
Was war mit ihm los, dass ihn das so überraschte? Hätte er nicht damit rechnen müssen? Er wusste doch, wie es um das angebliche Traumpaar stand. Sie musste sich von ihm lösen, nach dem, was er über die Medien lanciert hatte. Aber hätte sie nicht dennoch verstört und deprimiert wirken müssen? Stattdessen führte sie mit dieser alten Schachtel eine offenbar angeregte Unterhaltung, ernsthaft zwar, aber irgendwie auch gelöst.
Er wollte sich gerade unauffällig ihrem Tisch nähern, als er jemanden seinen Namen rufen hörte. Obwohl er auf Französisch angesprochen worden war, bemerkte er aus den Augenwinkeln, wie sie den Kopf hob und in seine Richtung schaute. Ohne die verdutzt dreinschauende Kollegin zu beachten, schritt er so zügig, wie es die Situation erlaubte, in Richtung Ausgang.
Sie hatte auf seinen Namen reagiert, augenblicklich und aufmerksam. Wieso? Sie konnte doch nichts von ihm wissen. Oder etwa doch?
Er musste wachsam sein. Er musste sie weiter beobachten, in Erfahrung bringen, was sie wissen konnte. Durfte aber nichts riskieren, jetzt nicht mehr, nicht noch mehr. Wenn sie sie zu früh fänden … Er musste die Augen offen halten, beobachten, erkunden, wachsam sein.
22
Trier; Samstag, 13- November
Es war ein regnerischer Samstagmorgen mit starken Windböen, kräftigen Schauern und nur selten aufreißender Wolkendecke. Buhle saß in seinem Büro und stellte wieder einmal fest, dass der latente Schimmelgeruch deutlicher zu bemerken war, wenn es auch draußen feucht war. Er hatte das Fenster gekippt, und die kühle, frische Luft drang in den Raum. Auf seinem Schreibtisch lagen verstreut Aufzeichnungen, Notizen und Akten. Zwei Wochen harter kriminalistischer Arbeit stapelten sich vor ihm. Der Aufwand für die Ermittlungsakten hatte sich in den letzten Jahren stetig
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